Alexandra Leaving

Aus dem Alltag

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Sie war hübsch, die junge Nachbarin. Er lächelte ihr freundlich zu, als er die Wohnungstür aufschloss, quittierte ihren koketten Blick mit einiger Zufriedenheit und sah sie gleich darauf im Stiegenhaus verschwinden. Sein Lächeln war durchaus bemerkenswert. Es war das Lächeln eines Menschen, dem man nicht lange böse sein konnte. Etwas Bubenhaftes lag darin, etwas ganz und gar Argloses. Etwas, das unbedingtes Vertrauen einforderte. Er schüttelte den Kopf und strich mit der rechten Hand durch sein Haar. Es war ein Akt der Verlegenheit, eine Übersprungshandlung womöglich. Eine Bewegung, die ihm gänzlich unbewusst blieb und doch einnehmend wirkte auf andere. Dann griff er mit ebendieser Hand nach dem Schalter, knipste das Licht an und schloss die Tür. Stellte seine Umhängetasche auf die schwarze Truhe, in der die Inline-Skates schon seit Jahren auf ihren nächsten Einsatz warteten und zog seine Jacke aus. Er zögerte. Blieb stehen, bevor er die Tür zum Wohnzimmer öffnete, horchte in die Stille hinein, die aus der kleinen Zweizimmerwohnung drang. Einen Moment lang hatte er gedacht, Alexandras Stimme zu hören.
Doch Alexandra wohnte hier nicht mehr.

Suddenly the night has grown colder, the god of love preparing to depart. Alexandra hoisted on his shoulder, they slip between the sentries of the heart.

Der Geschirrspüler mochte einfach nicht mehr voll werden. Wie viele Tage war es her, dass er ihn zuletzt eingeschaltet hatte? Er wischte die größeren Brösel, traurige Verlassenschaft seiner kalten Mahlzeit, achtlos in den Mülleimer und verstaute Teller und Messer im Geschirrspüler. Morgen, beschloss er kurzerhand, würde er wieder kochen. Im Regal mussten doch noch Casarecce sein. Ja, die Casarecce, dachte er und sagte es beinahe laut. Die hatte sie immer besonders gemocht.

Upheld by the simplicities of pleasure they gain the light, they formlessly entwine. And radiant beyond your widest measure they fall among the voices and the wine.

Er konnte nicht behaupten, dass er ständig an sie denken musste. Das stimmte nicht. Ja, er vermisste sie. Ihre Sinnlichkeit. Ihre impulsive Kreativität, die in wunderbarem Kontrast zu ihrer klugen Beherrschtheit stand. Er füllte ein Glas mit Leitungswasser und stellte es auf den runden Couchtisch, den sie im Jahr zuvor bei IKEA gekauft hatten. Er vermisste ihren Körper. Der Name des Tisches lag ihm plötzlich auf der Zunge, wollte ihm aber partout nicht einfallen. Nach wenigen Sekunden gab er auf.

It’s not a trick, your senses all deceiving. A fitful dream the morning will exhaust. Say goodbye to Alexandra leaving. Then say goodbye to Alexandra lost.

Er konnte ihr die Verbindlichkeit nicht bieten, die sie von ihm in letzter Zeit erwartet hatte. Wollte es nicht. Drei Jahre waren sie zusammen gewesen, warum konnte es nicht bleiben, wie es war? Wozu etwas regeln, das formlos bestens funktionierte? Er war achtundzwanzig. Er dachte nicht daran, seinem Leben Fesseln aufzuzwingen. Er sagte es ihr.
Fünf Tage später zog sie aus.

Even though she sleeps upon your satin, even though she wakes you with a kiss, do not say the moment was imagined. Do not stoop to strategies like this.

‚Bad Guy‘ von Billie Eilish lief im Hintergrund, er mochte die eindringlichen Rhythmen ihrer Musik und die frechen Texte. Im Stiegenhaus war ein lauter Ruf zu hören, dem gleich darauf eilige Schritte folgten, die schnell wieder verebbten. Es kümmerte ihn nicht. Plötzlich überkam ihn die Neugierde. Hastig griff er nach seinem Mac, loggte sich in Facebook ein und konnte der Versuchung nicht widerstehen, Alexandras Profil aufzurufen. Es wunderte ihn nicht, als er dort ‚In einer Beziehung‘ las.
Sie war nicht der Typ Mensch, der lange Single blieb.

As someone long prepared for the occasion in full command of every plan you wrecked, do not choose a coward’s explanation that hides behind the cause and the effect.

Er wusste nicht recht, was mit diesem Abend anzufangen war, nach Ausgehen war ihm nicht zumute. Schnell entschied er sich für den bequemen Weg, nahm die Fernbedienung zur Hand, schaltete den Fernseher ein und aktivierte Netflix. Sich eine Folge seiner aktuellen Lieblingsserie anzusehen, schien ihm kein schlechter Plan zu sein. Er stand auf und holte sich noch ein Glas Wasser. Als er die Musik abdrehen wollte, setzten die ersten Takte von ‚Alexandra Leaving‘ ein. Vor ein paar Monaten war es auf der Playlist gelandet, sie waren im iTunes Store darüber gestolpert und es hatte ihnen gefallen. Es klang so herrlich altmodisch.
Und während Episode vier der zweiten Staffel von ‚Mindhunter‘ begann, erzählten ihm Leonard Cohen und Sharon Robinson eine Geschichte, die er jetzt erst wirklich verstand.

And you who were bewildered by a meaning. Whose code was broken, crucifix uncrossed. Say goodbye to Alexandra leaving. Then say goodbye to Alexandra lost.

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