Blut

Aus dem Alltag

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Was zum Teufel er mit dem Kleinen anfangen solle, fragte er. Ob es so aussähe, als würde er ein verdammtes Waisenhaus führen. Er spuckte in das hohe Gras, das neben der Garageneinfahrt wuchs. Der Bub sah ihn aus großen Augen an. Wusste nicht, wie ihm geschah, ließ die Hand seiner Mutter nicht los. ‚Er ist kein Waise‘, sagte die Frau, die blass war und mager. Sie zitterte, als würde sie frieren, obwohl die Sonne vom Himmel brannte.
‚Er ist dein Enkel.‘

Er habe diesen Bengel noch nie gesehen, sagte er. Und den Vater im Übrigen auch nicht, er könne auch auf beide gern verzichten. Die junge Frau stand in der Einfahrt, verloren, hilflos zu Boden blickend. Der Achtjährige, den sie an der Hand hielt, wusste nicht, wohin mit seiner Angst. Eine Weile schwiegen alle, dann räusperte sich der Alte und spuckte wieder ins Gras. Sie sollten besser gehen, meinte er. Beide.

‚Bitte, Papa‘, sagte sie schließlich und ihre Stimme hatte etwas Festes, Unbeugsames. Etwas, das sie selbst zu überraschen schien. ‚Ich brauche deine Hilfe. Wir brauchen deine Hilfe.‘ Sie schaute ihm in die Augen, scheute nicht länger seinen Blick. ‚Ich will eine Therapie machen‘, sagte sie, ‚er kann nicht bei mir bleiben‘. Der Bub sah zu ihr auf. Seine Augen waren riesig, der Mund noch immer stumm.
Der Mann zögerte. Wie sie sich das vorstelle, fragte er. Schon als Vater habe er versagt, meinte er spöttisch. Was tauge er da als Großvater?

Es sei nur für ein paar Wochen, sagte sie. Der Junge brauche eine Bleibe, müsse sonst zu fremden Leuten. Womöglich in ein Heim. ‚Ich bin auch ein Fremder für ihn‘, höhnte der Mann. ‚Was habe ich mit ihm zu schaffen?‘

Sie ließ die Hand des Kindes los, machte drei Schritte auf ihren Vater zu, seit Jahren hatte sie sich bloß von ihm entfernt. Stand nun so dicht vor ihm, dass sie seinen Atem riechen konnte. Stellte sich auf die Zehenspitzen. Machte sich groß, nicht klein wie früher. Ihr Vater wich nicht zurück. ‚Nichts, wenn du nicht willst‘, sagte sie. ‚Niemand kann geben, was er nicht hat.‘

Sie drehte sich um, nahm die Hand ihres Sohnes, zog ihn mit sich. ‚Ich muss nicht hierbleiben‘, sagte sich der Bub, weiter dachte er nicht. Weiter wollte er nicht denken. Jeder Schritt, den sie taten, entfernte sie vom alten Mann. Die Angst aber blieb.

‚Wartet‘, hörten sie, es klang wie ein Befehl. Sie blieben stehen. Drehten sich nicht um. Warteten. Hörten, wie er sich eine Zigarette anzündete. Einen tiefen Zug tat. Sahen, wie eine Amsel nach einem Regenwurm pickte. In der Nachbarschaft bellte ein Hund.
Was mit dem Jugendamt sei, hörten sie den Alten fragen. Das wäre einverstanden, meinte Mutter. Dann begann sie zu weinen.

‚Wie heißt du eigentlich?‘, fragte der alte Mann, als die Reisetasche am Treppenabsatz stand und die Tür ins Schloss gefallen war.
‚Manuel‘, sagte der Bub. ‚Ich heiße Manuel.‘

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