Einer, der geht

Aus dem Alltag

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Er ist ein g’scheiter Mensch. Einer, der das Wesentliche versteht an den Sachen und dem das sinnlose Geschwätz zuwider ist, wenn Lösungen gefragt sind. Einer, der weiß, wofür es sich zu kämpfen lohnt und woran man besser nicht rührt. Einer, der die Dinge mit Ruhe anpackt. Und der auch immer geahnt hat, dass so ein Diensthandy nicht permanent eingeschaltet sein muss.

Ja, g’scheit war er immer schon. Den hast du wahrscheinlich schon als Neunjährigen was über den dreizehnten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten fragen können oder welcher der indischen Staatspräsidenten den unaussprechlichsten Namen hatte. Die Geschichte ja überhaupt sein Steckenpferd und da haben wir uns natürlich voll getroffen, denn was ist die Gegenwart wert, wenn man nichts von der Vergangenheit weiß noch wissen will? Da setzt man doch glatt die Zukunft aufs Spiel.

Dreiundzwanzig Jahre ist er in der Bank, die oft genug ihren Namen gewechselt hat und zuweilen auch ihren Eigentümer. Seit neunzehn Jahren kenn‘ ich ihn jetzt und um zu erkennen, dass er ein g’scheiter Mensch ist, hab‘ ich ungefähr so lang gebraucht wie der Nico Rosberg fürs Einparken beim Wochenendeinkauf. Seit vielen Jahren ist er mein Freund und mein Chef und dass das zusammen geht, haben wir beide bewiesen. Ich hab‘ ihn ja oft bewundert für sein Wissen, aber mehr noch für seine souveräne Gelassenheit, die findet man sonst wahrscheinlich nur bei Trickbetrügern oder Aristokraten.

Dreiundzwanzig Jahre war er in der Bank und vierundzwanzig werden’s nimmer. Denn er hat gekündigt.

Und da siehst du wieder: einen Adventkalender kannst du diesem Menschen nicht schenken, weil der sagt doch glatt vor dem letzten Türl, na das mach ich jetzt aber nimmer auf, mir reicht’s.

Blöd hab ich dreing’schaut, ordentlich blöd sogar, da ist höchstens der Mister Bean in seinen Glanzzeiten herangekommen. Weil nicht dass du glaubst, er hat schon einen Posten als Vorstandsvorsitzender bei der Hypo Niederösterreich sicher oder gar als neuer Gewerkschaftspräsident. Nein, er hat noch gar nix sicher, außer der Gewissheit, der Zukunft nicht willenlos ausgeliefert zu sein. Zugegeben: ein wenig wird er schon zehren können vom Ersparten, da müssen sich die Zukunftsängste wohl noch ein paar Jahrzehnte gedulden. Mutig ist es zwar allemal, zu sagen: ich fang jetzt mit beinahe achtundvierzig was Neues an, vielleicht werd‘ ich auch Geschichtslehrer oder Imker, ich weiß es noch nicht. Aber da hat er schon recht, wenn er meint, achtundvierzig ist nicht alt, da geht Veränderung noch.

Wundern darf man sich ja eigentlich nicht, dass die Leute so einen Schritt tun, bei diesem ständigen Gerede davon, dass man raus soll aus seiner Komfortzone und neue Erfahrungen sammeln. Und mittlerweile sammeln schon ganz schön viele, nur tun sie das anderswo.

Ja, er ist ein g’scheiter Mensch. Einer, der weiß, wofür es sich zu kämpfen lohnt und woran man besser nicht rührt.

Heute hat er seinen letzten Arbeitstag gehabt, der Thomas.
Ich werd‘ ihn vermissen.

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