Fehltritt am Sonntagberg

Aus dem Alltag

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Im Leben eines jeden Menschen gibt es eine Handvoll kritischer Momente. Wie man damit umgeht, macht uns nicht zuletzt zu dem, der wir sind. Da erkennt der eine vielleicht bereits am ersten Schultag, dass die eigene Biografie ab nun zwangsläufig in die Lohnsklaverei führt. Und wird dann entweder drogenabhängig oder Konzernboss. Ein anderer denkt sich nach dem ersten Kontakt mit dem anderen Geschlecht: werd‘ ich vielleicht doch Eremit? Oder betreib ich später mal ein Mädchenpensionat? Ja, es gibt ein paar solcher kritischer Momente und daraus resultierender Entscheidungen. Werd‘ ich Rapidler oder Austria-Anhänger? Greif ich zum blauen Bensdorp oder zum grünen? Muss ich wirklich dieses Indianerkostüm zum Kinderfasching tragen?

Der Tag, an dem man zum ersten Mal seine potentiellen Schwiegereltern trifft, ist wahrscheinlich auch eine von diesen besonderen Situationen. Da fällt einem ja ganz automatisch dieser Film mit dem Robert De Niro ein, das kann einem dann schon ein wenig Angst machen. Und im Nachhinein muss ich sagen: diese erste Begegnung hätte wirklich übel ausgehen können. Da hab ich damals richtig Glück gehabt.

Die Doris ist ja aus dem Mostviertel, wo die meisten Leute in der Regel achtlos dran vorbeifahren. Wahrscheinlich, weil sie sich denken, also zwischen Amstetten-Ost und Oed fahr ich aber sicher nicht von der Autobahn ab. Ein Fehler, weil das Mostviertel ist richtig malerisch mit total vielen Birnbäumen und Kühen, die in der Gegend rumstehen, und wegen der vielen Hutfahrer hat man auch die Muße, das alles in Ruhe zu genießen. Und über dem Mostviertel thront der Sonntagberg und auf dem Sonntagberg eine mächtige Basilika, von dort kann man bis weit ins Waldviertel schauen und auf der anderen Seite bis zum Ötscher. Nur nach Osten sieht man nicht, weil da verstellt ein kleines Wäldchen die Aussicht, aber nach Osten orientieren sich die Mostviertler ohnehin nicht gern, dort sind ja die Wiener daheim und die Sankt Pöltener, also alle, die sie immer irgendwie herumkommandieren wollen. Das haben sie hier gar nicht gern.

Das Treffen mit meinen Schwiegereltern in spe auch völlig unkompliziert, das habt ihr jetzt wahrscheinlich nicht erwartet. Aber so ist das mit dem Leben. Da weichst du einem Hindernis elegant aus und dann liegst du plötzlich mit dem Rüssel im Staub und weißt nicht, wie dir geschieht. Wir zwei sind dann nach dem Kaffee rauf zum Sonntagberg gefahren, das muss man schon der Aussicht wegen gemacht haben und wegen der Skelette, die da in der Kirche herumliegen. Und danach noch wenige Schritte durch das Wäldchen zum Türkenbrunnen, weil beim Türkenbrunnen ein Kraftort.
Und dieser hier hat anscheinend schon auf mich gewartet.

Der Brunnen heißt ja so, weil bei der ersten Türkenbelagerung auch ein paar versprengte Truppen in dieser Gegend waren, aber just an diesem Ort hier soll sie dann irgendwas in die Knie gezwungen haben. Wahrscheinlich war’s der sumpfige Boden, vielleicht haben sie aber auch eine lokale Volkstanzgruppe gesehen, was weiß ich. Die Türken sind dann jedenfalls schnell wieder verschwunden, dafür hat man die Quelle neu gefasst und eine Kapelle gebaut. Und gar nicht weit von der Kapelle entfernt ein kleiner Kinderspielplatz. Ohne Kinder. Wer könnte da widerstehen?

Ich gleich ganz schwungvoll rauf auf die Baumstämme, die sie da vertikal in den Boden gerammt haben und will so zügig drüber wie damals der Hermann Maier über diese Kuppe in Nagano. Aber schon beim zweiten Schritt merk ich: oha, der Stamm federt so komisch, das ist jetzt gar nicht gut. Weil in meinem Enthusiasmus hab ich nämlich übersehen, dass die Teile zwischen den Endstücken gar nicht fest mit dem Boden verbunden sind, sondern frei schwingen. Und da darf man dann eben nicht mit Karacho drauf, da zwingt einen sonst die Physik in die Knie. Und genau das tut sie jetzt.
Mein rechter Fuß findet keinen Halt und rutscht von der Trittfläche. Ich verliere das Gleichgewicht und stürze, mit dem Gesicht voran, zu Boden. Mein Kinn touchiert einen dieser Pseudo-Baumstämme, was mein Körper als insgesamt recht unangenehm empfindet und meine aufeinanderschlagenden Zähne erzeugen ein Geräusch, das nur Sadisten hören können, ohne eine Gänsehaut zu kriegen. Mein rechter Arm kann den Sturz nur unzulänglich abfedern und sieht nun aus als gehörte er einem glimpflich davongekommenen Minenopfer.

Während ich mich aufrapple und an mir herabsehe, denk ich mir noch: ja, dieser Kraftort hier hat wohl immer noch Vorbehalte gegen Menschen aus dem Osten. Erst recht, wenn sie patschert sind.
Aber im Nachhinein sagst du dir dann: Sonntagberg eigentlich eh super, weil noch alle Gliedmaßen dran und die Zunge hab ich mir auch nicht abgebissen. Für den ersten Besuch bei den zukünftigen Schwiegereltern im Grunde keine schlechte Bilanz. Und weil ich das als gutes Omen gedeutet hab, haben wir ein paar Jahre später dort auch geheiratet.
Also in der Basilika halt, nicht am Kinderspielplatz.

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