Das war jetzt reichlich knapp. Die Schaufel in der rechten Hand und rechtschaffen erarbeiteten Schweiß in den Augen, sehe ich zu, wie sich der fette Regenwurm in artgerechtem Tempo trollt.
Glück braucht der Mensch, der Wurm nicht minder.
Die Jahre im Kleingarten haben uns gelehrt, wo unsere Talente liegen und die häusliche Hierarchie gefestigt. Doris hat die Gartengestaltung übernommen, die taktische, naturnahe und bemerkenswert effiziente Kriegsführung gegen Schädlinge aller Art und das Dispositive im Allgemeinen. (‚Du, kann man das ausreißen?‘ – ‚Nein, das haben wir letzte Woche neu gepflanzt.‘)
Ich grabe Löcher.
Ich mache das nicht schlecht.
Auch wenn der Regenwurm das anders sieht.
So, jetzt sind sie alle eingesetzt. Die Prunkwinde gleich unter dem Rankgitter, das sie bis weit in den Herbst hinein in Beschlag nehmen und dem benachbarten Efeu heftige Konkurrenz machen wird. Der freilich weiß, wer von beiden hier einjährig ist und wer nicht. Die Rudbeckia rechts vorm Gartentor, sie wird uns den Sommer über treu begleiten, wenn wir ihr nur ausreichend Wasser geben und sie anfangs vor den Schnecken schützen.
Die ‚Schwarzäugige Susanne‘, die wir inmitten der mittlerweile verblühten Schwertlilien gesetzt haben und die sich wie jedes Jahr eine Zeit lang dem vertikalen Wachstum verwehren wird, bevor sie ihre Bestimmung als Kletterpflanze akzeptieren kann. Schließlich die wunderbaren Sonnenhüte, die die Bienen und Hummeln so lieben und ohne die der Sommer wahrscheinlich einfach nicht komplett wäre.

Hornspäne, Urgesteinsmehl und ein wenig Kompost, das alles hat Doris ihnen mit auf den Weg gegeben. Meine Aufgabe ist es, sie zu wässern – von wegen Wurzelschluss und so – und ihnen gut zuzureden, dass sie hier an einem Ort gelandet sind, wo sie geschätzt, von Zeit zu Zeit gegossen und nicht haltlos den Schnecken ausgeliefert werden.
Warum soll nur Prince Charles mit seinen Pflanzen sprechen?
Seit die Nachbarn von schräg gegenüber ihr neues Soundystem installiert haben, hat sich unser musikalisches Repertoire drastisch erweitert. Vor allem Heino, Udo Jürgens und eine eigenwillige Auswahl von Titelmelodien deutscher Kriminalserien bereichern seither unseren Musikgeschmack und bilden so den Soundtrack dieses Gartenjahres.
‚Schwarzbraun ist die Haselnuss, schwarzbraun bin auch ich, bin auch ich‘, verkündet Heino weithin, während ich eine Marienkäferlarve per Hand von einem Hibiskus zum nächsten befördere. Dort tummeln sich noch reichlich Blattläuse, derweil sie andernorts schon aufgefressen worden sind, was nicht ohne – wenn auch stummem – Protest der zahlreich anwesenden Ameisen vonstatten ging. ‚Schwarzbraun muss mein Mädel sein, gerade so wie ich.‘ Die Larve hat meine Fingerkuppe verlassen, dreht noch eine Runde über das Blatt und stürzt sich dann auf die nächstbeste Laus.
Heino singt mittlerweile ‚Ja, ja, so blau blau blau blüht der Enzian‘ und man müsste ihm für diese philosophische Grunderkenntnis vielleicht sogar dankbar sein. Ich widme mich eingehend der Metzgerpalme und befreie sie von vereinzelten Blättern, die mit weiß Gott was befallen, jedenfalls aber schiach sind, während Doris den Hopfen ein weiteres Mal in diesem Jahr auf eine Höhe von maximal zwei Metern zurückstutzt, bevor er uns endgültig über den Kopf zu wachsen droht. ‚Wenn beim Alpenglühen wir uns wiedersehen.‘ Anschließend sprüht sie Ackerschachtelhalmextrakt auf Rosen, Bergflockenblumen und Johanniskraut, auch beim Pilzbefall gilt es ja, den Anfängen zu wehren, auch wenn man den Entwicklungen letztlich doch immer hinterher hinkt. Ich betrachte ganz fasziniert, wie sich am Salbei die flinken Raubmilben herzhaft über die elenden Spinnmilben hermachen und bin einmal mehr erstaunt, wie schnell die Natur für den passenden Fressfeind sorgt, wenn man sie bloß lässt. ‚Mit ihren ro-ro-ro-roten Lippen fing es an, die ich nie vergessen kann.‘

Ich verstaue das Arbeitsgerät in der Gartenhütte und verwerfe den Gedanken, aus den dargebotenen Liedtexten vielleicht doch tiefere Einsichten in das Leben gewinnen zu können.
Der Mensch hat ja mitunter einen unseligen Hang zu unkompliziertem Liedgut.
Als ich mich umdrehe und den Hang hinunter schaue, am Haus vorbei und über die beiden Trompetensträucher hinweg, schallt die Erkennungsmelodie von ‚Derrick‘ durch die Kleingartenanlage.
Es ist früher Morgen, als mich meine Blase aus dem Bett zwingt, es ist dies mittlerweile ja ein schöner Brauch geworden. Draußen zwitschern munter alle möglichen Vögel, während von Heino kein Laut zu hören ist. Als ich aus dem Fenster schaue, steht ein Fuchs in unserem Garten. Rotes Fell, schlanke Beine, buschiger Schwanz. Es ist ein schönes Tier, unerwartet groß, ein ausgewachsener Rüde. Für ein paar Augenblicke steht er reglos vor unserem Gartentor.
Dann verschwindet er lautlos zwischen den noch jungen Eiben.
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