Raphael, sei anständig!

Aus dem Alltag

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‚Jetzt sei aber endlich ein bisschen leise, Raphael‘. Aber leise sagt sie das nicht, die Frau Mama. Da kann der Raphael schon eine falsche Vorstellung von dem bekommen, was das bedeuten soll. Leise sein.

Die Kulisse aber nicht das örtliche Geriatriezentrum während der Mittagsruhe oder ein Hochstand im Alpenvorland knapp vor Sonnenaufgang, sondern der wirklich sehr empfehlenswerte Chinese auf der Linzer Straße in Purkersdorf. Da muss man nicht unbedingt mit gesenkter Stimme reden. Aber wer das getan hätt‘, der hätt‘ den anderen ohnehin nicht verstanden und sich selbst wahrscheinlich auch nicht. Weil eben der Raphael und der Samuel im Lokal. Die sind dort schon aufgefallen.

Die beiden natürlich nicht unbegleitet, die jeweiligen Mütter eh auch dabei und weil Fruchtbarkeit groß, Baby auch noch. Wie das pralle Leben haben sie ausgeschaut, die zwei Frauen. Sehr jung und rundlich wie diese lächelnden Buddhas, die man im Baumarkt bekommt. Und als ich sie anschau, denk ich mir noch: jö, die drehen hier für eine dieser ATV-Soaps wie ‚Teenager werden Mütter‘ oder so, na dass ich das auch mal seh‘. Aber Kameras waren da keine. Schad eigentlich. Aber solange die Mütter nur rumplärren wie ein auf Anschlag gedrehter Volksempfänger und Raphael und Samuel wie aufgeregte Zebras durch das Lokal galoppieren und nicht ins Buffet rotzen, soll mir das recht sein. Die kochen hier wirklich gut.

‚Raphael, sei anständig!‘ Aber was soll der Raphael jetzt damit wieder anfangen? Was ist das, anständig sein? Und warum schimpft sie plötzlich dauernd mit mir, wo ich doch bloß zuerst auf den Sessel und dann auf die Fensterbank geklettert bin? Das mach ich doch daheim auch immer.
Also komisch sind die schon, die Erwachsenen. Im einen Moment schimpfen sie noch und im nächsten haben sie’s wieder vergessen.
Aber wo die Konsequenz fehlt, ist das Drama unvermeidbar.

Und so war dann auch dem Raphael beim Fangen spielen zwischen den Tischen die eine Kurve zu eng. Die neben mir halt. Aber meiner Seel‘, ich richtig entspannt und das Rindfleisch mit Zucchini auch grad so gut, was kümmert mich da der Fortpflanz fremder Leute? Und die Mama natürlich gleich da und Raphael und hab ich nicht und jetzt ist’s aber genug, während ich in aller Seelenruhe mit den Stäbchen die Nudeln aus meiner Schale fische.
Irgendwie scheint das mit dem asiatischen Ruhedings bei mir total zu funktionieren, da brauch ich keinen Wellness-Tempel und kein Rosenkranzbeten, da müssen sie mir nur eine volle Futterschüssel hinstellen.

Aber der Herr schräg hinter mir grad nicht so locker, der sagt jetzt glatt zur raphaelitischen Mama: ‚Könnten Sie Ihre Kinder bitte woanders erziehen?‘
Na mehr hat er nicht gebraucht.
Da sind die zwei Grazien dann ein wenig unrund geworden – mental halt, weil optisch hätten sie das nicht geschafft -, dagegen sind Skylla und Charybdis richtig nette Spielkameraden. Also ich hätt‘ mich das nicht getraut, die beiden zu reizen, da greif ich doch lieber einem tollwütigen Pavian ins aufgerissene Maul.

Was bleibt, ist die physikalische Grunderkenntnis: im Zentrum des Hurrikans ist es auch nicht ruhig. Und beim Zahlen grins ich dann den Kellner an und geb‘ ein ordentliches Trinkgeld. Das Essen war richtig gut. Und Unterhaltungsprogramm war ja auch dabei.

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