Vorkommnis

Gastbeiträge

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War ich drei Wochen unterwegs, ist er drei Tage lang beleidigt und ißt, um mir das zu zeigen, selbst sein Lieblingsfutter nur zögernd. Aber dann, alle Katzenbesitzer kennen das, liegt unweigerlich seine Liebesgabe frühmorgens vor der Terrassentür.

Du, die du immer zuerst aufstehst, weckst mich mit dem Schreckensschrei deiner Phobie und zeigst im Grunde die einzig angemessene Reaktion. Obwohl es doch nur ein totes Mäuschen ist, so unschuldig und viel zu klein, das er uns hinlegte als Geschenk, sagt es: letzte Nacht also ist zufällig der Tod an eurem Haus vorbeigestrichen, durch euren Garten gestreift, hat vielleicht durch den zugezogenen Vorhang einen Blick auf euch erhascht, wie ihr lachtet oder über Unwichtiges strittet, während seine Schmeißfliege sich setzte auf die Küchenwaage.

Schwarzumrandet könnte übermorgen schon nachlesbar sein, auf der letzten Zeitungsseite, daß er dahergekommen vom nahen Altersheim, dort zugange gewesen war. Gewacht in dieser gestrigen Dunkelheit, ihn abgelenkt und weggelockt von uns hat ihn aber wohl tapfer und allein der Kater, zu dem er sich hingewandt hatte, um ihm belustigt oder gähnend zuzusehen bei dessem Krallenspiel mit diesem armen Geschöpf, das da noch immer auf dem Fußabstreifer liegt, als würde es frierend schlafen, als sei es unmerklich ein Zeichen, uns starr hinterlassen.

Ich wickle es in ein Grabtuch aus Zeitungspapier, trage es hinunter zur Mülltonne und ja, spreche ein kleines Gebet bei dieser Bestattung. Wie ich später dem Schnurrenden über den Kopf streichle, sagst du: jetzt lob ihn doch nicht auch noch dafür. Auf der Terrasse rücke ich die verrückten Stühle wieder zurecht. Regen hat den Aschenbecher gefüllt, die Spatzen trinken daraus.

Walle (Walter-Hermann) Sayer, 1960 geboren. Kindheit und Jugend im Schatten des 1478 erbauten und 60 Meter hohen Bierlinger Kirchturmes, der mit seiner Höhe „ein Veto ragt ins amtierende Licht“. Lebt und schreibt in Horb am Neckar. Veröffentlicht seit 1984 Gedichte und Prosa. Verschiedene Auszeichnungen, zuletzt: Basler Lyrikpreis 2017 sowie Gerlinger Lyrikpreis 2018; 2020/2021 erhielt er ein Werkstipendium des Deutschen Literaturfonds.
Zuletzt erschienen: „Mitbringsel“, Gedichte, 2019 und „Was in die Streichholzschachtel paßte“, Feinarbeiten, 2016. Im Frühjahr 2021 erscheint „Nichts, nur“, ein Auswahlband.
Walle Sayer bei Literaturport

Die Textrechte dieses Beitrags liegen bei Walle Sayer, die Bildrechte bei Doris Lipp.

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