Still-Leben

Aus dem Alltag

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Ich war ein stilles Kind. Verlor ich mich im Spiel, so kam es nicht selten vor, dass mich die Mutter, durchs Haus hastend, nach mir rufend schon eine Weile, in jener Ecke fand oder im Stiegenhaus, stets an einer Stelle aber, die im Grunde gut sichtbar war, an der ich es bloß verstanden hatte, ganz und gar in meine Stummheit gehüllt, unsichtbar zu sein. Und immer war mir dann, als wäre ich aus einem Traum gerissen worden, als hätte man mich aus der Welt entführt, die mir die nächste war. Dieses Gefühl schwoll an, wuchs ungemein, als ich zu lesen begann. Fortan hockte ich, die Beine gekreuzt, den Rücken gekrümmt, in der Nische neben dem Fensterbrett, entdeckte die Welt, die Menschen und das [vor allem das!], wonach sie gierten. Meiner Mutter war es recht. Sie achtete darauf, was ich aß, welche Noten ich bekam, ob ich Freundschaften schloss. Sie ahnte wohl auch, dass, mir die Bücher zu nehmen, hieß, mich dem Leben zu entfremden. Nie werde ich vergessen, dass sie mich werden ließ, wer ich war. Meinem Vater aber blieb diese Stille, die immer um mich war, die er nicht ausloten konnte, unheimlich, ein Leben lang. Wie viele Male hatte ich gedacht: als stünden wir an einem Abgrund, jeder auf seiner Seite, wussten nicht, wie zueinander finden.

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