Akropolis adieu

Aus dem Alltag

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Es scheint, die Götter sind uns nicht gewogen. Die Flüge waren längst gebucht, die Tickets lagen griffbereit. Athen jedoch wird uns nicht sehen. Nicht dieses Mal.
Corona legt den Alltag lahm.

Ich stelle die beiden Teller auf den Tisch, lege die Servietten, das Besteck bereit. Bringe den Korb mit dem geschnittenen Baguette, die Schale mit den eingelegten Artischocken und die Oliven. Dann den Schafkäse, das Olivenöl und den Oregano aus der Mani, der so unglaublich intensiv duftet, dass ich mich jedes Mal aufs Neue wundere. Zuletzt öffne ich den Merlot vom Gager, fülle ihn in die Gläser, die wir letztes Jahr in einem griechischen Minimarkt gekauft haben, und setze mich zu Doris an den Tisch.
Beide schauen wir zum Tischende hinüber, wo der Reiseführer liegt, von dessen Titelseite der mächtige Zeustempel grüßt. Im Hintergrund thront die Akropolis. Wir werden sie nicht sehen.
Nicht dieses Mal.

‚Pandemie ist ein griechisches Wort‘, sage ich, und greife nach der Schüssel mit den Oliven. ‚Aber Corona ist Latein‘, meint Doris, gießt Olivenöl auf ihren Teller und bestreut es mit Oregano. Dann nehmen wir die Gläser und prosten einander zu. Ya mas!

Das Radio schwankt zwischen Zuversicht und Fatalismus und spielt ‚I will survive‘ und gleich darauf ‚Only the strong survive‘. Ich greife abermals zum Glas. Lange wollten wir es nicht wahrhaben, dass sie durcheinanderkommen könnten, unsere schmucken Urlaubspläne. Gestört durch einen dreisten Virus, der keine Rücksicht nimmt auf Landesgrenzen oder Urlaubskontingente. Der Schafkäse schmeckt ausgezeichnet, denke ich mir, und schiele nach den Artischocken. Und plötzlich, wie schnell das ging, war ganz Italien Sperrgebiet, die Lust auf Reisen arg gemindert.

Ich fülle unsere Gläser auf, der Merlot versöhnt ein wenig. Wie gerne wären wir im ‚Margaro‘ gesessen, wo es nur zwei Gerichte gibt und die Auswahl dennoch schwer fällt zwischen Rotbarbe und Garnelen. Wir hätten einen Hirtensalat dazu gegessen und frisches Brot, einen leichten Weißwein getrunken und die Kadetten der nahen Marineschule beobachtet, wie sie durch die Straßen von Piräus stolzieren. Wie schön wäre es gewesen, am Sonntagmorgen den Flohmarkt auf der Ermoú zu erkunden und durch die Odos Pitaki und Karaiskaki zu streifen, wo über den Gassen Tausende von Wohn- und Schlafzimmerlampen hängen. Wir wären ins ‚Stani‘ gegangen, zwei Straßen nördlich vom Omonia-Platz, wo sie seit 1949 das vielleicht beste Joghurt der Stadt verkaufen und sich beharrlich weigern zu expandieren. Sie sagen, mehr muss nicht immer besser sein und haben vielleicht recht damit. Doris nimmt ein Stück Baguette, reißt es entzwei und tunkt die letzten Tropfen Olivenöl auf.
Wir werden das Konzert von Dimitris Basis verpassen, den wir so gerne live gesehen hätten. Es ist ein Jammer.

Das Abendessen ist zu Ende, auch die letzte Olive aufgegessen. Ich greife nach dem Reiseführer, schiebe ihn beiseite und nehme den Stadtplan, der gleich darunter liegt, zur Hand. Akribisch sind sie dort markiert, all die Sehenswürdigkeiten und Geschäfte, die Restaurants und die Cafés. Die Welt funktioniert ja auch analog. Leicht liegt er in meiner linken Hand, der Plan, und wiegt doch seltsam schwer, denke ich mir. Dann entfalte ich ihn, breite ihn aus auf dem Tisch, auf dem die Teller schon gewichen sind. Und während wir wortlos unsere Gläser heben, spaziert eine junge Tigerkatze an der Terrassentür vorbei, kümmert sich nicht um uns, verschwindet in der Dämmerung.

Der Virus mag unsere Urlaubspläne durchkreuzt haben. Aber was wird er uns sonst noch nehmen? Wie nahe wird uns Corona letztlich kommen? Ich seufze und zucke mit den Schultern. Dann stoßen wir an, genießen den Wein.

Die Zeiten, sie werden sich auch wieder ändern. Irgendwann.

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