
Bekenntnis
- April 04, 2025
- by
- Manfred Lipp
Mein lieber Vater. Ich weiß nicht, ob Dich dieser Brief finden wird, ich kann es bloß hoffen. Es ist schwer, Nachrichten aus dem Lager zu schleusen, doch ich will darauf vertrauen, dass es gelingen wird. Du sollst wissen, dass ich lebe. Der Krieg, lieber Vater, ist vorüber, frei aber sind wir nicht. Und nur wenige sind es, so scheint mir, die erkannt haben: wir waren es auch nicht zuvor. So viele meiner Kameraden, die den Kopf hängen lassen und einem Sieg nachtrauern, der uns gewiss schien. Die kleinen Männer, sie hatten ihn doch versprochen; wir aber hatten blind vertraut. Und wohin sonst, frage ich mich, als in den Abgrund führt der Weg, folgen die Blinden dem Blender. Jetzt also, lieber Vater, da wir in den Lagern der Sieger hocken, darf ich die Dinge beim Namen nennen. Bloß: niemand will hören, was zu sagen wäre, die Wahrheit glänzt nicht so schön wie die Lüge. Ein reines Gewissen, Vater, ist uns das höchste Gut, so scheint’s. Mutig waren wir im Feld, feig sind wir in der Niederlage.
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