Der Kirchenbeitrag

Rom

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‚Das ist keine Frau‘, sagt sie und beginnt herzlich zu lachen. Ich kneife die Augen zusammen, doch die Details der menschlichen Anatomie bleiben mir weiterhin verborgen. So ein Apsismosaik ist auch in einer kleinen römischen Kirche ganz schön hoch oben und meine Sehkraft eindeutig nicht die beste meiner Körperfunktionen. ‚Aber die schreiben in dem Kunstführer, dass die Figur links oben die Mutter vom Papst ist. Die hat ja auch den eckigen Heiligenschein der Lebenden‘, werfe ich ein wenig verwirrt ein. ‚Mag ja sein‘, meint die Doris. ‚Aber das da oben ist keine Frau. Es sei denn, die Mama vom Papst hatte Glatze und Schnauzbart.‘
Das hat mich dann doch überzeugt.

Auch die Päpste des Frühmittelalters hatten kein geringes Selbstwertgefühl. Da hat sich so mancher schon zu Lebzeiten ganz ohne falsche Bescheidenheit neben Aposteln und Heiligen abbilden lassen. Und Papst Paschalis hat auch gleich seiner Mutter einen Heiligenschein verpasst. Aber, Hand aufs Herz, machen das nicht alle italienischen Männer?
‚Da ist sie endlich, die Frau Mama‘, in einer Seitenkapelle werden wir schließlich doch fündig. ‚Siehst du?‘, meint die Doris.
‚Das ist eine Frau.‘

Santa Prassede. Santa Maria in Trastevere. Santa Sabina.

Ganz alleine sind wir, von der Gegenwart des Allmächtigen einmal abgesehen. Wir sitzen. Und warten. Warten darauf, dass sich ein Sonnenstrahl erbarmt und diese wundervolle Kirche mit ein wenig Licht erfüllt. Wir warten recht lange, doch herein kommt vorerst nur ein frommer Mensch, der stumm das Kirchenschiff durchquert, um sogleich in einem Beichtstuhl zu verschwinden. Die Stille wirkt wie eine Lupe. Sie lässt einen das Wesentliche sehen, das zeitlos Schöne. Die von langobardischen Steinmetzen gefertigte marmorne Chorschranke etwa. Oder die älteste holzgeschnitzte Tür christlicher Kunst. Die hochmittelalterlichen Grabplatten, die im Fußboden eingelassen sind und auf die zu treten man tunlichst zu vermeiden sucht.
Wir sind geduldig. Und werden belohnt. Denn plötzlich wird es hell.

San Luigi dei Francesi. Santa Maria Maggiore. San Pietro in Vincoli.

Streng schaut er schon, der Moses. Da hat er sich grad ein wenig hingesetzt, nachdem er mit den schweren Tafeln heruntergekommen ist vom Berg Sinai. Und dann muss er sehen, dass seine Leute schon wieder um das depperte goldene Kalb tanzen. Also nicht einmal ein paar Stunden allein lassen kann man die, es ist zum aus der Haut fahren. Aufspringen und hinrennen zu ihnen will er, da beginnen die Steintafeln zu rutschen. Schaut der Moses gleich noch eine Spur grimmiger, sofern das überhaupt geht. Und dann noch diese beiden gewaltigen Hörner, die ihm der Michelangelo da auf die Stirn gepickt hat. Unmöglich, dieser Flegel, wie schaut man denn da aus? Und das alles nur wegen eines strunzdummen Übersetzungsfehlers. ‚Coronata‘ hätt’s heißen sollen. Strahlenumkränzt. ‚Cornuta‘ ist dann dort gestanden, also echt jetzt.
Und jetzt sitzt er da, der Moses. Gehörnt und richtig grantig.

Santa Maria in Aracoeli. San Giorgio dei Greci. Santa Cecilia.

Schön sieht sie aus. So friedlich. Aber auch richtig tot, so eine Enthauptung bekommt ja den Wenigsten gut. Sauber gearbeitet dürften sie freilich nicht haben, die antiken Henker, der Kopf ist nur halb abgetrennt. Eine junge Amerikanerin tritt an mich heran und fragt, ob dies die Statue der heiligen Cecilia sei. Ich blicke mich um und kann weit und breit keine andere erkennen.
Dann sage ich mit der Selbstgewissheit des erfahrenen Fremdenführers: ‚Sure.‘

San Clemente. San Carlo alle Quattro Fontane. San Giovanni in Laterano.

Der Kreuzgang ist ein Wunderwerk. Ein Kleinod der Romanik. Eine stille Stätte der Begegnung mit gar nicht wenigen spätmittelalterlichen Grabplatten, deren einstige Eigner mittlerweile andernorts ruhen. Ein Ort der inneren Einkehr.
Immer noch.
Hat man den Kreuzgang dann verlassen und wieder das Kircheninnere betreten, so wende man sich scharf nach rechts. Sofern man eine gewisse, höchst irdische Regung verspüre. Denn der Lateran sorgt sich nicht nur um die Seele, er kümmert sich auch um den Leib. Und hält einen weiteren Ort der Stille bereit.
Fast zögert man, ihn zu benutzen.

Und übrigens: eine der genannten Kirchen steht gar nicht in Rom. Aber da müsst’s jetzt schon selber draufkommen welche.

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