Der Schafstall

Gastbeiträge

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Als ich Kind war, lebten wir am Rand einer Kleinstadt und unser Konsum war ein ehemaliger Schafstall, weswegen wir, wenn wir einkaufen gingen, immer sagten: „Wir gehen in den Schafstall.“ Für uns war das damals völlig normal, wir verschwendeten keinen Gedanken daran, dass unser Konsum einmal ein Schafstall war. Ich bin mir sicher, dass die Geschichte stimmt, denn alle nannten unseren Konsum nur „Schafstall“. Was ich nicht wusste, war, wo die hundert Schafe abgeblieben waren, die einst in ihm wohnten.

Als ich später ein Häuschen in den Schluchten des Balkangebirges erwarb, kam täglich der Schäfer mit seinen hundert Schafen bei uns vorbei. Man hörte sie schon von weitem, denn einige Schafe hatten Glöckchen am Hals. Der Hauptgrund, dass ich damals das Häuschen kaufte, waren die Berge. Danach kamen gleich die Schafe. Hinterm Haus der Ausblick aufs Gebirge, auf dem Weg davor die Schafe.

Seit einiger Zeit kommen keine Schafe und auch kein Schäfer mehr, dafür schwere Maschinen, die oben das Gras mähen, das früher die Schafe fraßen, und dabei den Weg kaputt machen. Der Schäfer soll im Ausland sein Glück gesucht, aber nicht gefunden haben. Und unten im Dorf gibt es jetzt einen neuen, großen Schafstall für 1.000 Tiere.

Zweimal am Tag werden sie mit Pellets gefüttert, dann höre ich sie blöken, obwohl der Schafstall fast einen Kilometer entfernt ist. Raus auf die Wiesen gehen die Schafe nicht mehr. Sie kennen nur ihren Schafstall, und den auch nur von innen. Das Mähen der Wiesen soll von der EU gut bezahlt werden. Was wohl die EU zur Haltung von Schafen nur in Ställen sagt? Wahrscheinlich ist das in Ordnung oder zumindest mit EU-Recht vereinbar.

Den Ausblick aufs Gebirge genießend, der nur durch das Blöken der hungrigen Schafe in ihrem Schafstall gestört wird, schreibe ich diese Zeilen und erinnere mich an den bulgarischen Schafkäse im Berliner Supermarkt. Auf der Verpackung ein alter Schäfer, der ein Schäfchen im Arm hält. Früher kaufte auch ich diesen Schafkäse. Jetzt überlege ich, Vegetarier zu werden – Schafkäsevegetarier.

Rumen Milkow. Trockener Berliner Taxifahrer mit Melkberechtigung. Grenzgänger zwischen zwei Welten. Schafkäsevegetarier in spe.

Die Text- und Bildrechte dieses Beitrags liegen bei Rumen Milkow.

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