Hemden gebügelt

Gastbeiträge

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Später werde ich sagen Ich habe Hemden gebügelt
ferngesehen und mit meinem Bruder telefoniert
Aber das stimmt nicht Ich habe wehrlos zugesehen
wie beim Eindämmern mein kleines Leben zerfiel
Rasch erlosch das Frühlingslicht das mich putzte
und schob unbehauene Grabsteine vor die Fenster
Der Tagesschausprecher schickte mich in Frührente
Erste ungelesene Bücher wandten sich von mir ab
und schweissten sich wieder ein Das Skypen mit
Göttingen war ein einziger Pixelbrei ohne Tonspur
Das Tagebuch verweigerte mir den Eintrag zu viel
Schwarzarbeit zu viele Krustentiere aus Tipp-Ex
Das Spiegelbild machte mir klar Die Fahndung läuft
Staatenlos wartete ich vor dem Scanner der Nacht
Später werde ich sagen Ich habe Hemden gebügelt
Genau das habe ich an jenem Abend im März getan

Aus:
Thomas Dütsch (2022). Zwischenhoch. Wädenswil: Verlag Nimbus. Kunst und Bücher 2022

Thomas Dütsch, 1958 in Zürich geboren, aufgewachsen im Zürcher Unterland, schreibt seit seinem 18. Lebensjahr Gedichte. Er studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Zürich, Tübingen und Berlin. 1991 war er auf Einladung des Berliner Kultursenats sechs Monate Stipendiat im Literarischen Colloquium Berlin (LCB). Neben seiner beruflichen Tätigkeit als Gymnasiallehrer und seit 2002 als Sprachdozent an der Pädagogischen Hochschule Zürich publizierte er Gedichte in den Literaturzeitschriften einspruch, drehpunkt und Sprache im technischen Zeitalter. Auch die Neue Zürcher Zeitung, die ZEIT und der Tages-Anzeiger veröffentlichten Gedichte von ihm.
2001 erschien sein Gedichtband «Windgeschäft», für den er eine Anerkennungsgabe des Kantons Zürich erhielt. 2011 erschien «Weisszeug», für das er eine Anerkennungsgabe der Stadt Zürich erhielt. In der NZZ am Sonntag lobte Manfred Papst die Sorgfalt und das Formbewusstsein seines Schreibens. Im März 2022 erschien sein dritter Gedichtband «Zwischenhoch» im Verlag Nimbus. Kunst und Bücher.
Thomas Dütsch ist Vater von zwei erwachsenen Töchtern und lebt in Wädenswil.
Thomas Dütsch bei Literaturport
Rezension zu «Zwischenhoch»

Die Textrechte dieses Beitrags liegen beim Verlag, die Bildrechte bei Doris Lipp.

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