Wegwarten

Gastbeiträge

Written by:

Views: 869

Die geschlossene Tür steht hinter deinem Rücken wie ein feindseliger Dominostein. Du hast beschlossen zu verschwinden, doch das gelingt dir nicht, dein Körper ist zu konkret. Also dachtest du, dich einfach zu verbergen, indem du umziehst, hinter die Wahrnehmbarkeitsgrenze. Du beginnst hier die Straße entlangzugehen, die Straße, die sich nicht wie ein nasser Schnürsenkel windet, sondern eben vor dir ausgebreitet liegt, der Asphalt so glatt wie die frisch überzogenen Bettlaken in einem guten Hotel, bevor du ins Zimmer gekommen bist. Die Straße zweifelt nicht an ihrem Weg, sie führt dich in einer linearen Geraden von einem Punkt zum anderen. Die Punkte sind die letzten Weihnachtskekse in der Dose, schon etwas abgegrabscht, schon etwas zerrieben von der Dauer, in der andere auf sie gedrückt haben, sie sind die ohne Schokoladenglasur, sie sind die, die man in der Weite des Tellers nur der filigranen Zuckerguss-Optik wegen duldet. Deine Turnschuhe schiebst du über das frisch vom Regen abgebohnerte Straßenparkett und du siehst im Gehen Dinge, konkret wie du.

Du kommst an Straßenlaternen vorbei, deren noch nicht angeschaltete Birnen die vom grauen Star trüben Augen der Stadt sind. Ihre Pfähle sind die in der Bitte um Umarmung hochgereckten Arme der unterirdischen Stromleitungen. Ihre Lampenschirme sind sommers wie winters die Strandkörbe der Donauinsekten. Du wirst Mülltonnen sehen, die vor den Häusern stehen. Du wirst dir denken, sie paradieren vor dir, bis du merkst, dass sie dir folgen, wohin du auch gehst, da stehen Mülltonnen vor Wohnungen, bereit. Du weigerst dich, in Fakten zu denken, deinen konkreten Kopf mit konkreten Gedanken zu füllen. Du versuchst, deine Gedanken zur Selbstbestimmung zu erziehen. Du lässt sie unbeaufsichtigt Unverarbeitetes umverarbeiten.

Deine Zehen berühren nun die Landstraße, die ein Spaghetti im grünen Pesto der Wiesen ist. Du wirst diese Linie überschreiten und den Leitpflöcken folgen, die jene vormals weißen, heute leicht belegten Zähne sind, welche die Urbanisierung hungrig in das Fleisch der Zuckerrübenfelder geschlagen hat. Manchmal blitzt ein Reflektor auf der Spitze auf wie der Bracket einer fixen Zahnspange im Gleißen der Lampe des Behandlungsraums. Die aufgetürmt am Feld liegenden Zuckerrüben sind wie ungewaschene Sockenknödel, die man beim Umziehen hinter der Waschmaschine findet, braun geworden vom Kalk des harten Wassers. Du fragst dich, ob du es schon geschafft hast, dich schon außerhalb der Entdeckbarkeit befindest. Deine Füße haben deinen Körper in die Mitte der Straße gebracht, sie haben ein Stück der Leitlinie zugedeckt, sie bilden eine schuhbunte Insel im scheckigen Grau. Du nimmst das Rauschen eines sich nähernden Autos wahr, man könnte es auch für Blätter halten, mechanische Blätter an einem tickenden Baum. Du fragst dich, ob du es schon geschafft hast, die Wahrnehmbarkeitsgrenze zu überqueren. Du bleibst stehen, bist das Haar in der Asphaltsuppe. Jetzt siehst du das Fahrzeug, wie es sich über die Straße schiebt wie ein ausschnappendes Gummiband. Es ist vor dir. Du glaubst, dass du es geschafft hast, dass du weg bist. Doch dann siehst du, dass die Person hinter dem Lenkrad dich sieht, einlenkt, ausweicht. Das Auto schwebt an dir vorbei, du hörst es rufen: „Verschwinde!“, und du wünschtest, du könntest dieser Aufforderung nachkommen. Doch noch gelingt es dir nicht. Wie eine Weltraumsonde beginnst du dich unaufhörlich von der Straßenmitte zu entfernen, bis du wieder vor einer Tür stehst, die dir im Nacken liegt.

Sara Schmiedl, 1999 geboren, aufgewachsen zwischen Zuckerrübenfeldern und Donau. Hat zuerst begonnen zu lesen, dann Bücher zu lieben und schließlich eigene Texte zu schreiben. Bisher exklusiv nachzulesen in den Textheften diverser Literaturwettbewerbe. Ein Debütroman existiert bereits im Kopf, aber bisher auch nur dort.

Die Textrechte dieses Beitrags liegen bei Sara Schmiedl, die Bildrechte bei Doris Lipp.

Comments are closed.