Fremd

Aus dem Alltag

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Flieder. Lorbeer. Thujenhecke. Stehen und schauen und sich ans Gestern erinnern, während Schmetterlinge ihre trunkenen Kreise im Blumenbeet ziehen. Großvater mag den Garten gepachtet haben, denke ich mir.
Der Garten aber die Ewigkeit.

Kaum etwas scheint der Zeit unterworfen an diesem Ort, der die Sommer meiner Kindheit gesehen, die Schrammen meiner Achtlosigkeit belächelt hat. Nur der Buchs fehlt und der alte Rosenstock, der sein Rot so kraftvoll in den Juni geschleudert hat. Fast alles ist wie früher.
Großvater aber will jetzt sterben.

‚Warum?‘, frage ich ihn, höre seine Antwort, kann sie nicht glauben. Er weiß, dass ich ihn nicht verstehen kann. Lächelt. Ist geduldig mit mir. ‚Weil ich diesen Kampf nicht kämpfen will‘, sagt er und sucht meinen Blick, der an nichts haften und doch alles festhalten mag. Den Flieder. Die knallgelbe Gießkanne. Das riesige Vogelbad, in dem Kraniche nisten könnten. Ich fasse mir ein Herz und sehe ihm direkt in die Augen. ‚Der Krebs ist zu weit fortgeschritten‘, meint er und berührt den Efeu, der sich um den Zaun zum Nachbargrundstück rankt. ‚Aber die Chemo‘, sage ich, ‚kann doch helfen‘. Großvater schweigt. Schweigt so lange, dass mir die Stille ganz unheimlich wird. Ich schlucke und blicke zu Boden. Weiß, dass nur er diesen Bann lösen kann, weil es sein Leben ist, um das es geht. ‚Mir fehlt einfach die Kraft zu kämpfen‘, sagt er dann und seine Stimme ist fest, aber leise.
‚Und der Wille.‘

Die Menschen seien ihm fremd geworden mit den Jahren, sagt er. Sagt es so leise, dass ich ihn kaum hören kann. Er erkenne sie nicht wieder, meint er. Sie machten ihm Angst und raubten ihm die Hoffnung. Wie ein Rudel Hunde seien sie, sagt er. Wollten bloß zu fressen und jemanden, den sie vergöttern könnten. Großvater sieht mich an. Lächelt nicht länger.
‚In dieser Welt will ich nicht leben‘, sagt er.

Ich verstehe ihn nicht. Deute seine Worte als Zeichen seiner Krankheit. Sehe die Bösartigkeit nicht, von der er spricht. Gebe ihm kein Widerwort, will ihn nicht verärgern. Er sieht meinen Unglauben, lächelt wieder.
‚Es ist gut so, wie es ist‘, sagt er. Eine Amsel landet im Gras und pickt nach einem Regenwurm.

Stehen und schauen und sich ans Gestern erinnern im Garten, der nun meiner ist. Der Eidechse zusehen, die sich auf der Steintreppe wärmt, und den Schmetterlingen, die ihre trunkenen Kreise im Blumenbeet ziehen. An Großvater denken, der in der Morgendämmerung eines Spätsommertags gestorben ist. Die Ameisen beobachten, die eine tote Honigbiene in ihren Bau schleppen. Die Amsel, wie sie in der Hecke verschwindet.

Zum Efeu gehen und ihn berühren.

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