Aufs Leben!

Aus dem Alltag

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‚Was bist denn heut‘ gar so ruhig?‘, fragt der Xaver. Greift nach seinem Bier, macht einen ordentlichen Schluck, wischt sich den Schaum von der Oberlippe. ‚Ich weiß nicht‘, sagt der Josef. Und, nach ein paar Sekunden, als der Xaver schon geglaubt hat, mehr kommt jetzt nicht vom Josef, was soll man auch reden die ganze Zeit, da sagt der noch: ‚Die Schuster Claudia geht mir halt nicht aus dem Sinn.‘

Ja, und da haben die beiden dann eine Minute gemeinsam geschwiegen. Vielleicht auch zwei.
‚Die Schuster Claudia‘, wiederholt der Xaver, weil ihm nichts Besseres einfällt und er es einfach nicht mehr aushält, dass keiner was sagt. ‚Die Schuster Claudia‘, sagt der Josef und nickt.
Tot ist sie.

‚Noch zwei Bier‘, sagt der Xaver zur Waltraud, die grad an ihrem Tisch vorbeigeht, und die Waltraud nickt auch, aber ganz anders als der Josef zuvor. ‚Glaubst du, dass der Tod Mitleid haben kann?‘, fragt der jetzt und der Xaver fragt sich, warum er vorher nicht einfach den Mund gehalten hat, weil das ist eine Frage, die kann er leichter beantworten als die vom Josef. ‚Ich‘, fängt der Xaver an, weiß aber nicht recht weiter und schaut auf seine Fingernägel, die auch mal wieder geschnitten gehören.
‚Ich‘, fasst er sich dann doch noch ein Herz, ‚glaub schon, Josef‘.

Jetzt muss man natürlich wissen, dass die Schuster Claudia in der Schule der große Schwarm vom Josef gewesen ist. Die Claudia hat ihn ja auch ganz nett gefunden und fesch war er auch ein bisschen, aber der Josef halt immer ein Langsamer. Einer, der viel überlegt, wo ein anderer schon längst anpackt, und da bist du dann bald einmal der Zweite. Ja, und als die Schuster Claudia zwei Monate vor der Matura vom Zeitzinger Karl schwanger geworden ist, da war natürlich klar: Katastrophe für den Josef, Leben zu Ende.

Das Leben war vier Jahre später auch tatsächlich zu Ende, aber nicht für ihn, sondern für die Claudia.
An einem Bahnübergang.
An einem winterkalten Tag.
Und für die kleine Lena auch.

‚Ob sie den Zug hat kommen sehen?‘, fragt der Josef. Ja, was glaubst du denn?, will der Xaver sagen, will es hineinschreien in den Gastraum vom Kirchenwirt, so laut, dass die Gläser springen. Natürlich hat sie ihn gesehen, aber erst, als der schon gepfiffen hat wie wild, als es längst zu spät war zum Aussteigen, viel zu spät, weil sie auch immer so eine Langsame war wie du. ‚Ich glaub nicht‘, sagt der Xaver und klopft dem Josef auf die Schulter. So sanft, wie er wahrscheinlich überhaupt noch niemandem auf die Schulter geklopft hat.
‚Weißt du‘, sagt der Josef, während er in sein leeres Bierglas schaut, ‚dass ich lang nicht mehr an sie gedacht hab? Aber vorhin, als wir bei ihrem Grab vorbeigekommen sind nach dem Begräbnis vom alten Leutgeb, da …‘. Mehr sagt er nicht, der Josef, mehr muss er nicht sagen, der Xaver versteht ihn ja. Versteht auch die Tränen, die dem Josef jetzt die Wangen herunterrinnen und auf die Tischplatte tropfen.

‚Da wird einem ja das Bier sauer, wenn man euch zwei so sitzen sieht‘, sagt die Waltraud. Stellt ihnen die vollen Gläser hin, nimmt die leeren mit, verschwindet Richtung Schank. Der Xaver nimmt sein Glas, schaut den Josef an. Sagt: ‚Prost‘. Und: ‚Aufs Leben!‘
Der Josef wischt mit dem Handrücken die Tränen weg. Sagt: ‚Danke‘.
Und: ‚Aufs Leben!‘

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