Sommerlinde im Schnee
- November 28, 2023
- by
- Thomas Dütsch
Seit Tagen warte ich auf den Windstoss
der die Schneelast von meinen Ästen streicht
Ich möchte mich aufrichten durchstrecken
von den letzten vernarbten Kapseln befreien
Ins Licht drehen will ich mein Haupt mit all
seinen knorrigen Synapsen Wie ein Spalier
wächst mein Schatten über die Sonnenwand
Der Windstoss könnte auch ein Buchfink sein
Aus:
Thomas Dütsch (2022). Zwischenhoch. Wädenswil: Verlag Nimbus. Kunst und Bücher 2022
Thomas Dütsch, 1958 in Zürich geboren, aufgewachsen im Zürcher Unterland, schreibt seit seinem 18. Lebensjahr Gedichte. Er studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Zürich, Tübingen und Berlin. 1991 war...
Die ehrlichste Gage
- November 21, 2023
- by
- Walther Soyka
Meine Laufbahn als Akkordeonist hat 1979 begonnen, auf der Kärntnerstraße.
So wie viele andere Musikstudenten bin ich zum Üben lieber dorthin gegangen als zu Haus die müde Mutter zu sekkieren. Natürlich war meine Absicht nicht, irgendwen zu belästigen – die Intention war, was ich gelernt hatte unmittelbar weiterzugeben. Und es haben sich immer Menschen gefunden,...
Shanghaied
- November 14, 2023
- by
- Karl-Gustav Ruch
Nur zwei, drei Zeilen, sagte der alte Schriftsteller, als man ihn bat, ein paar Worte für ein Buch zu schreiben, das dem eben ins Amt eingesetzten Präsidenten John F. Kennedy übergeben werden sollte.
Der Schriftsteller machte sich an die Arbeit. Nach einer Stunde stand auf dem Papier:
The marvellous thing is that it’s painless.
Shit, rief er, das...
Kairo, Winter;
- November 07, 2023
- by
- Jan Röhnert
die Brotlaibe auf eine Stiege gehievt
zwischen zwei Motorradsitzen
in runden Mützen aufgegangnen Teigs
das erste Sonnenlicht verweilt,
Wärme, die sich wie das Nilwasser
umsonst verteilt. Hände strecken sich
am Imbissstand mit Wechselgeld nach
Brotmützen voll Humus, Bohnenmus, Ganoush,
als würde Manna dargereicht, doch vorerst
schwebt nur die bittre Würze des Benzins
über dem wüstengelben Mützensaum
die...
Männerhände
- Oktober 31, 2023
- by
- Hans-Gerd Pyka
Als ich sie fragte, wie sie es denn fände
Mit mir unterm Schirm die Straße entlang
Zu gehen im Regen, der fast keiner mehr war,
Da wurde ihr schon beinah bang.
Ich schaute auf ihren Hals, sie auf meine Hände,
Als drohten diese Hände ihre Kraft zu verlieren, meine
Kontrolle, als wären sie nicht mehr meine,...





