Cavo Grosso

Peloponnes

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Schau! sagt Doris und zeigt auf die Wehrtürme. Wie üblich schaue ich auf ihre Hand und nicht in die Richtung, die sie mir weist. Wohin? frage ich und trommle mit den Fingern aufs Lenkrad. Da vorn, die ersten Wehrtürme, sagt sie und wackelt so stark mit der Hand, dass ich erst recht nicht wegsehen kann. Aha, sage ich, schaue, endlich, in die richtige Richtung und wische mir mit einer lässigen Handbewegung ein wenig Spucke von der Unterlippe. Keine dreißig Sekunden später bewundern wir ein Ortsschild, das hauptsächlich aus Einschusslöchern besteht.

Die Mani ist ein wunderbarer Landstrich, voller Felsen, Geröll, sonnenverbrannter Disteln und steinerner Wehrtürme. Es ist ein entzückender Flecken Erde, wo man die launigen Freuden der Blutrache noch bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts genossen hat. Ich mag solche Orte, sie verströmen den Reiz unaufgeregter Ernsthaftigkeit, die nicht viele Worte braucht, aber eine Menge Schusswaffen. Gut, Gegenden, in denen Wehrtürme eine respektable Höhe erreichen und Mütter ihren männlichen Nachwuchs nicht Sohn, sondern Gewehr nennen, mögen auf einen leicht reizbaren Menschenschlag schließen lassen, aber ich kann mich da irren. Und mag die Blutrache auch ein wenig aus der Mode gekommen sein, so plädiere ich doch für ihre umgehende Aufnahme ins immaterielle Kulturerbe. Derart liebevoll gepflegte Traditionen, finde ich, sollten nicht den Launen des Zeitgeists unterworfen sein.

Sucht man in der Mani einen Platz, der selbst für hiesige Maßstäbe öde wirkt, muss man in den Cavo Grosso. Er ist grandios. Einen gottverlasseneren Ort wird man nicht leicht finden. Über den schmalen Betonstraßen hängt eine Hitze, die man in New Mexico vermuten würde und die Gegend ist so sagenhaft still, dass man kaum mehr hört als das Gebell eines übel gelaunten Hundes, den gelegentlichen Schuss aus einer Schrotflinte oder das Schlagen einer Totenglocke. Der Cavo Grosso ist, fürwahr, ein Paradies der inneren Einkehr. Fahren Sie hin, wirklich. Achten Sie bloß darauf, dass Sie keine Blutfehde lostreten, die Ihre Sippschaft in den nächsten vier Dekaden über Gebühr in Anspruch nehmen wird.

Am nördlichen Ende des Cavo Grosso, der ein Felsplateau von bemerkenswert karger, ungeschminkter Schönheit ist, liegt eine Landzunge, die man Tigani nennt. Bratpfanne. (Es ist ein praktischer Menschenschlag, der hier lebt, ohne erkennbaren Hang zur Poesie.) Klingt nach einem feinen Ort, finden wir, und parken das Auto auf einem staubigen, plattgetretenen Flecken Erde, der wahrscheinlich seit meiner Geburt keinen Tropfen Wasser gesehen hat. Ich überlege, diesen Zustand zu ändern, entscheide mich aber dagegen, da ich es ungehörig finde, neben einem Mietauto zu urinieren. Schweigend stehen wir also da und schauen zu den sonnendurchglühten Ruinen einer venezianischen Festung, die auf der Bratpfanne brutzeln. Dann packen wir drei Hektoliter Wasser in unsere Rucksäcke, schieben uns die Sonnenbrillen ins Gesicht und stapfen los. Die zwei Minuten, die Doris mich im weglosen, weitgehend kahlen Gelände alleine lässt, um, Sie wissen schon -, nutze ich, um mich im Dickicht eines einsamen Distelfelds zu verirren.

Zur Mittagsstunde sitzen wir an einem wackligen Plastiktisch, verhalten uns still und beobachten das ältere Paar, das aufgeregt seine Kreise um uns zieht. Wir fragen uns, ob wir tatsächlich das Haus mit der ausgebleichten Aufschrift Taverna betreten haben, schieben die Zweifel aber vorerst beiseite. Gut, es mag möglich sein, dass wir auf der Terrasse eines Privathauses sitzen, aber, ganz ehrlich: es ist ein schöner Platz und solange uns niemand eine Meute Hunde an den Hals hetzt, bin ich im Einklang mit der Weltseele. Erst, als sich zwei Krüge vor uns finden, einer mit Wasser, einer mit Wein, ein Brotkorb, ein Griechischer Salat und ein Teller mit Doraden, wissen wir, dass wir hier richtig sind, dass es keinen besseren Platz geben könnte zu dieser feinen Stunde. Wir nicken den Wirtsleuten zu, heben unsere Weingläser, schauen aufs Meer und auf die Doraden, die ihr Harpunenmal tragen wie einen prächtigen Orden.
Kein schönerer Ort unter der Sonne als dieser, denke ich.

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