Die Vermessung des Strahls

Aus dem Alltag

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‚Dieses Mal werden wir eine Strahlmessung machen‘, meint die freundliche Dame am Empfang. Und während ich meine Unterschrift unter die allerorts unvermeidliche Datenschutzerklärung setze, ringe ich mir ein Lächeln ab, nicke wohlwollend und denke mir: wer könnte einer so freudvollen Verlockung widerstehen?

Um der Sache den nötigen Nachdruck zu verleihen, gönne ich mir schnell drei Gläser Wasser, weil was Armseligeres als eine Quelle, die nicht sprudelt, wirst du beim Urologen schwer finden. ‚Bitte warten, bis Sie es nicht mehr halten können, und vorher nicht abharnen‘, sagt die freundliche Dame noch und ich bin augenblicklich davon überzeugt, dass ‚abharnen‘ zum Wort des Jahres, wenn nicht gar des Jahrzehnts gekürt werden müsste. Gespannt bin ich natürlich auch, wie so eine Harnstrahlmessung genau abläuft, denn noch ist mir nicht ganz klar, ob die Prüfung visuell, bloß akustisch oder gar mit digitaler Unterstützung erfolgen soll und die Anzahl der beteiligten Personen bleibt vorerst auch noch im Dunkeln.
Die meisten Patienten sind da ein größeres Publikum wahrscheinlich einfach nicht gewohnt.

Als ich dann nach einer knappen Stunde vorm Arzt stehe, ist die Not schon recht groß. Aber wenn sie sagen ‚bis Sie es nicht mehr halten können‘, meinen sie wohl, dass man die Flexibilität der Harnblase recht grenzwertig austesten sollte. Ist ja im Grunde alles eine Frage der Disziplin.
Aber vor dem mittlerweile schon heiß ersehnten Abharnen noch ein Ultraschall und der launige Kommentar des Arztes, den ich durchwegs positiv deute: ‚Respekt! Na eh gut gefüllt, die Blase.‘

Dann führt er mich in einen Nebenraum und deutet auf einen Kanister, in dem ein riesiger Trichter steckt, den auch ein arthritischer Elefant nicht leicht verfehlen könnte. Nun denn, die Bühne ist bereitet, auf Publikum allerdings warte ich vergebens.
‚Einen Zentimeter bitte in den Becher, den Rest in den Trichter‘, sagt der Urologe, bevor er den Raum verlässt, und ich vergeude keine Zeit mit feinmotorischen Details. Während ich in den Kanister pinkle und wohltuende Erleichterung meinen Körper flutet wie der Ozean ein sinkendes Schiff, frage ich mich, welche Blase dieses gewaltige Gefäß wohl füllen könnte, verliere mich dann aber bald in der Betrachtung urologischer Feinwerkzeuge. Nach etwa einer Dreiviertelminute setze ich dem lauschigen Gestrulle ein Ende, weil ich mir denke, wird ihm ja sonst fad da draußen, so ganz ohne Gesellschaft.
Gehört sich ja auch nicht, scheinbar stundenlang im Nebenraum zu urinieren.

‚Na da ist ja noch immer genug drin‘, meint er dann ein wenig besorgt, wie mir scheint. Das zweite Ultraschall offenbart natürlich, was ich Sekunden zuvor nicht dem Tageslicht aussetzen wollte. Aber mein Einwand, eine zweite Runde friedvollen Geplätschers wäre nun wirklich kein Problem, man sollte nur vielleicht alle nachfolgenden Termine eine halbe Stunde nach hinten verschieben, nimmt der Sorge ihre unheilvolle Spitze.
‚Sehr schöne Nieren‘, hat der Arzt dann noch gesagt, und das hat mich natürlich besonders gefreut, weil ja bekanntlich die inneren Werte zählen im Leben. Harn und Blutbild auch tadellos, das ist ja mindestens so viel wert wie eine funktionierende Darmflora oder der Hauptpreis beim örtlichen Sauschlachtfest. Und im Kanister hätte sich ein halber Liter gefunden, was zwar noch keine Aufnahme ins Guinness Buch der Rekorde rechtfertigen würde, aber eine durchaus respektable Menge sei. Sprach es, stülpte sich mit der routinierten Bewegung des langjährigen Profis einen Einweghandschuh über die rechte Hand und sagte die unvermeidlichen Worte:
‚Und jetzt bitte nach vorne beugen.‘

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