Gift

Aus dem Alltag

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Wollte sich jemand die Mühe machen, den Anfängen der Geschehnisse nachzuspüren, die niemand im Dorf für möglich gehalten hatte, er mochte auf ein Bündel an Begebenheiten stoßen, einen finsteren Blick womöglich, einen unerwiderten Gruß oder dergleichen. Nichtig für sich jedes Vorkommnis, belanglos scheinbar, harmlos in seiner isolierten Betrachtung, und doch trug es den Keim blinder Wut in sich, störte es das dörfliche Gefüge, trieb kleine Risse in eine Fassade, deren Makellosigkeit der Gemeinde als höchstes Gut galt.
Die Wurzeln der Raserei indes reichten tiefer.

Konstantin Horak, in diesem Punkt herrschte Einigkeit in einer an Zwist nicht armen Gemeinschaft, war ein Fremdkörper im Ort gewesen. Ein Geschiedener, raunten die einen bald, ein Kommunist die anderen und schnell wurde am einen Ende des Dorfes zur Wahrheit, was am anderen als Gerücht in die Welt gesetzt worden war. Dass ihm der sonntägliche Kirchgang auch Wochen nach seinem Zuzug fremd blieb, schien nur ein weiterer Beweis für die Gottlosigkeit der Städter und deren mangelnde Bereitschaft, sich einer seit alters gewachsenen Ordnung einzufügen.

Dass das Schuller-Haus einem Auswärtigen zugefallen war, wurde allgemein als Fehler betrachtet, der den Erben hart angelastet wurde. Ein Fehler freilich, der, darüber wurde gern hinweggesehen, der mangelnden Vorstellungskraft der Ortsansässigen geschuldet war, die den geforderten Preis bloß höhnisch kommentiert, seine Realisierbarkeit aber nie ernsthaft erwogen hatten. Als das Haus verkauft war, soviel stand fest, herrschte Zwietracht in der Gemeinde. Konstantin Horak, der sich an einem regnerischen Septembertag erstmals im Dorf eingefunden hatte, wusste nichts von derlei Dingen, konnte nichts ahnen von Missgunst und Enttäuschung, hatte keine Augen für die Vorhänge, die beiseitegeschoben, die Finger, die gehoben, die Nasen, die gerümpft wurden.
Er dachte wohl auch, es hätte ihn nicht zu kümmern.

Man war ihm also gram, diesem Konstantin Horak, das Herz aber trug man doch am rechten Fleck. Es mochte wohl möglich sein, ihn und den Buben, einen schmächtigen Neunjährigen mit roten Haaren, der Gemeinschaft einzufügen, dem Dorf dienstbar zu machen, wo Wille war, war auch Respekt. Alsbald fanden sich Nachbarn ein, erkundigten sich, ob Hilfe nötig wäre bei der Renovierung, geschickte Hände gäbe es genug im Ort, man musste sie bloß ergreifen. Die Frauen brachten Brot und Salz, Backwerk und Obst, schienen sich zu sorgen um das Wohlergehen eines Haushalts, der ohne Ehefrau und Mutter auszukommen hatte. Wochenlang wurden Hände geschüttelt, Einladungen gemurmelt, Ratschläge erteilt. Auf Resonanz stieß man nicht.

Nun war er also aufs Land gezogen, wo er den Tod der Frau verwinden wollte. Überzeugt davon, dass dies an einem Ort, der von den Qualen der Krankheit unbelastet war, sich besser meistern ließe als in den Ruinen seines alten Lebens, hatte er sich auf die Suche gemacht, das Haus gefunden, das er gleich gemocht, schnell gekauft hatte. An Ruhe allerdings war nicht zu denken, die Menschen gingen ein und aus. Gelang es ihm anfangs noch, der Fürsorge, die er für Neugierde hielt, mit Freundlichkeit und Geduld zu begegnen, mischten sich bald launige Bemerkungen, finsteres Mienenspiel in seinen Umgang mit den Leuten. Die Mitgliedschaft in der Freiwilligen Feuerwehr lehnte er ab, für die Renovierung der spätbarocken Kanzel hatte er nur einen Kleinbetrag übrig, selbst die Einladung in die samstägliche Kartenrunde schlug er aus, deren Zusammenkünfte er ohnedies als plumpen Vorwand für derbes Gerede und übermäßigen Alkoholkonsum ansah.

Immer öfter geschah es, dass einem Blick ausgewichen, ein Gruß nicht erwidert wurde.

Eines Tages begannen die Streiche. Ein abmontierter Briefkasten. Die Mülltonne, in der sich Pferdeäpfel fanden. Ein Schubkarren, der in der Hauseinfahrt gestanden hatte, bevor er verschwand. Als der Bretterzaun auf einer Länge von siebzehn Metern mit rosa Lackfarbe beschmiert worden war, erstattete Konstantin Horak Anzeige.
Eine Schande sei das, hieß es. So einer hatte im Dorf nichts verloren.

Es brauchte nicht viel. Ein Wirtshaus zu später Stunde. Ein paar Hitzköpfe. Feindseligkeit, die in Hass umschlug.

Betrunken mochte man sein, die Umsicht verlor man nicht. Kein Auto in der Einfahrt, das Haus in stummer Dunkelheit. Keiner da, johlte einer. Eine Flasche funkelte im Mondlicht.
Ein Ziegelstein, der die Fensterscheibe durchschlug. Hinterdrein die Flasche, der Lappen in Benzin getränkt. Schnell fingen die Vorhänge Feuer, griffen Flammen nach dem Haus.

Licht ging an im ersten Stock.

Aber das Auto, murmelte einer, nüchtern geworden im Augenblick. Konnte nicht wissen, dass es zwei Straßen weiter stand aus Angst vor Vandalismusschäden. Reglos, mit offenen Mündern, der Trunkenheit beraubt, sah man aufs Feuer. Sah das Fenster, das geöffnet wurde im Obergeschoß, die beiden Köpfe, die auftauchten, den Rauch, dunkel und dicht, der ins Freie schoss. Der Sohn, schon am Fensterbrett, fasste den Vater an den Händen, stürzte hinaus, hastig, die Knie schlugen gegen die Hauswand. Zwei Meter über dem Boden die Füße, die Hand losgelassen, aufgeschlagen, den Knöchel gebrochen, geschrien. Dann Horak, der, beim Aufprall, sich das Knie verdrehte, das Kreuzband riss und den Meniskus, mit der rechten Schulter und dem Kopf hart auf den Boden schlug.

Niemand sprach, als Dachziegel zu Boden fielen, Fensterscheiben barsten, blasse Gesichter in der Dunkelheit verschwanden.

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