Knoten

Aus dem Alltag

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War da ein Knoten? Sie erschrak. Starrte auf das Spiegelbild, sah die nackte Frau, die sich an die Brust fasste, ihre gerunzelte Stirn und die Augen, in denen Zweifel lag und Unglauben. Es dauerte lange, bis sich die Frau im Spiegel bewegte.

Eine Zyste, dachte sie. Bestimmt eine Zyste. Sie verstärkte den Druck ihrer Finger, versuchte, die Größe des Knotens zu ertasten. Klein, dachte sie. Ein gutes Zeichen, dachte sie. Ob das stimmte, wusste sie nicht. Sie schlüpfte in den Pyjama, ging ins Wohnzimmer, griff zu ihrem iPhone. Tippte vier Wörter in die Suchmaschine.

Knoten in der Brust

Ungeduldig öffnete sie den ersten Beitrag. Las, was Netdoktor zu sagen wusste.

Ein Knoten in der Brust muss nicht zwingend auf Brustkrebs hinweisen. Die meisten Verhärtungen und Schwellungen sind keine bösartigen Tumoren, sondern haben harmlose Ursachen.

Harmlos, dachte sie. Kaute auf der Unterlippe, bemerkte es nicht. Saß auf ihrem Lieblingssessel, tastete nach dem Knoten. War er wirklich so klein, wie sie anfangs gedacht hatte? Warum hatte sie ihn eben erst bemerkt? Wuchs er so rasch? Sie sah wieder auf das Display, ergänzte die Suchanfrage um den Begriff Wikipedia.

Mammatumor: Die meisten tastbaren „Knoten“ in der Brust sind Zysten. Die Zystenwand besteht aus atrophiertem Drüsenepithel, das etwa ebenso selten entartet wie normales Drüsengewebe. Zysten sind also kein Risikofaktor für die Entstehung von Brustkrebs.

Eine Zyste, dachte sie. Kein Risikofaktor für Krebs. Sie atmete tief durch. Wollte schlucken, bemerkte erst jetzt, wie trocken ihr Mund war. Ein letztes Wort noch, dachte sie. Um sicherzugehen.

Brustkrebs

Sie las:

Etwa 80 bis 90 % aller Geschwulste in der weiblichen Brust wurden bisher von den Frauen selbst zufällig entdeckt. Diese tast- und sichtbaren Tumoren sind bei ihrer Entdeckung oft schon relativ groß und deshalb meist mit einer schlechten Prognose verbunden. Durch konsequente Früherkennung kleinerer, nicht tastbarer Tumoren könnte die Sterblichkeit großen Studien zufolge um 25 % gesenkt werden.

Sie schloss die Augen. Ein Fehler, dachte sie. Ohne gesicherte Diagnose würde die Internetrecherche bloß in Panik münden. In sinnloser Angst. Sie legte das iPhone beiseite. Schlich ins Bett. Zwang sich in einen Schlaf, der lange nicht kommen wollte.

Einen Termin. Ob es? Verstehe. Es sei dringend. Ein Knoten. Verdacht auf. Nächsten Dienstag? Danke.
Tausend Dank.

Mammographie, die: röntgenologische Untersuchung der weiblichen Brust zur Feststellung bösartiger Geschwülste

Der Arzt war Mitte fünfzig. Graue Schläfen, modische Brille, breite Kieferknochen. Ein Muttermal unter dem rechten Ohr. In der Hand ihr Befund. Der Mann sah auf, blinzelte. Lächelte. Kein Grund zur Sorge, sagte er. Sein Lispeln verriet einen Sprechfehler, der ihr auf Anhieb sympathisch war.

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