Tempora mutantur

Aus dem Alltag

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‚Come gather ‘round, people, wherever you roam and admit that the waters around you have grown‘, singt Dylan, als ich das Glas mit den Oliven öffne. Dann schneide ich zwei Bio-Gurken in handliche Stücke, würze sie mit grobem Salz und feinem griechischen Olivenöl und schicke Doris in den Garten, auf dass sie mit frisch gepflückten Kräutern zurückkomme. In der Zwischenzeit greife ich nach dem Brotkorb, kleide ihn mit einer Papierserviette aus und fülle ihn mit knusprigem Baguette. Dann fällt mir ein: wir haben ja noch eingelegte Artischocken und flugs sind sie zur Hand. Und als ich den Schaf-Frischkäse aus dem Eiskasten nehme, kommt Doris schon zurück und der Duft der frischen Kräuter füllt beherzt den ganzen Raum.

Ich räume das Feld, die Küche ist klein, und trete auf die Terrasse. Draußen ist es totenstill, nur die Amsel singt eines ihrer frohen Lieder. Der Abend kommt behutsam über diesen schönen Sonntag, der freundlich war zu uns und sonnenhell. Der Naturstein unter meinen bloßen Füßen ist warm, das Insektenvolk noch emsig, eine Krähe ruft gereizt von einer hohen Fichte. Hinter dem Zaun herrscht kurz Tumult, zwei Menschen haben Lust daran, einander lautstark Nichtigkeiten zuzurufen, dann ist es wieder still. Ich decke den Tisch, öffne eine Flasche Grünen Veltliner vom Zull, fülle zwei Gläser bis zu jenem Maß, an dem sie fröhliche Gelassenheit versprechen und nehme schließlich Platz.
Sehe, wie die Krähe sich mit einem letzten, grantigen Schrei vom Baum löst und hinter der Bergkuppe verschwindet. Wie eine Wespe von einer zu Boden stürzenden Blüte des Trompetenstrauchs mitgerissen wird und erbost das Weite sucht. Wie Bohnenkraut, Thymian und Dost nun die Bio-Gurken krönen, mehr kontrolliert biologischer Anbau geht echt nicht.
Dann heben wir unsere Gläser und prosten einander zu.

‚And accept it that soon you’ll be drenched to the bone if your time to you is worth savin’. And you better start swimmin’ or you’ll sink like a stone. For the times they are a-changin’.’

Es gab Zeiten, in denen wir dem Montag ein gutes Stück freudvoller entgegensahen. In denen der Beruf viel mehr war als ein Mittel zum Broterwerb. Nicht gesellschaftlich anerkannte Mühsal war, der es offenbar schnellstmöglich zu entrinnen gilt. Zeiten, in denen Werte nicht auf Zutrittskarten gedruckt, sondern gelebt wurden. In denen Menschen nicht als reiner Kostenfaktor galten und Arbeit nicht bis zur Neige optimiert sein musste.
Es waren Zeiten, als es noch Reserven gab, sie sind nicht mehr. Wieviel Effizienz verträgt die Welt eigentlich? Und wie werden die Jungen auf das Diktat der Optimierung letztlich reagieren?

‚Come mothers and fathers throughout the land and don’t criticize what you can’t understand. Your sons and your daughters are beyond your command, your old road is rapidly agin’. Please get out of the new one if you can’t lend your hand. For the times they are a-changin’.’

Die Gläser sind leer, die Teller beinah. Die Oliven sind fort, ein wenig Baguette ist noch da. Das Mahl, es ist zu Ende. Eine Wespe surrt in ihrem enervierenden Zick-Zack über dem Frischkäse und kann sich doch nicht zu einer Landung entschließen, es ist ja Schaf nicht jedermanns Sache. Ich stehe auf, gehe ins Haus und komme alsbald mit dem Veltliner zurück. Wenn heitere Gelassenheit im Wein haust: wer wollte sie dort drinnen lassen?
Werden sich die Jungen fügen, wie wir uns gefügt haben? Oder werden sie revoltieren gegen eine Ordnung, die zusehends nur die blanke Leistung schätzt? Und wie viele von ihnen werden auf der Strecke bleiben?

‚The line it is drawn, the curse it is cast. The slow one now will later be fast. As the present now will later be past, the order is rapidly fadin’. And the first one now will later be last. For the times they are a-changin’.’

Die Dämmerung wirft bereits ihr zartes Gewand über den Tag, als die Krähe wieder ihren Platz am höchsten Punkt der nahen Fichte einnimmt. Sie wirkt noch immer ungehalten. Die Nachbarskatze spaziert gelangweilt um die Ecke und wägt wohl einen Augenblick lang ab, ob potentielle Streicheleinheiten die anschließende Katzenwäsche wert sind. Reglos steht sie da und sieht uns an, sie ist an jenem Punkt der Unentschlossenheit, in dem die Zukunft offen ist.
So wie wir.

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