Weglos?

Aus dem Alltag

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Zur Stunde, da die Turmuhr Mittag schlug, schlich ein Kater über den Dorfplatz, saßen drei Frauen auf der Bank, die im Schatten der Linde stand. Es wird Regen geben, sagte die eine, die älteste, sah den anderen zu, wie sie die Köpfe hoben und die Wolken besahen. Oder auch nicht, meinte sie, lachte, klopfte Hertha, der Nachbarin, auf die Schulter, strich sich durchs dünne Haar. Du bist ein Kindskopf, Marie, meinte die Nachbarin und kniff sie in den Oberarm. Ich weiß, sagte sie. Ein siebzigjähriger. Mit jeder Menge Falten.

Habt ihr den Schuss gehört? fragte Gerda, die die Jüngste war von den dreien. Sie streckte den Rücken, reckte das Kinn, schob sich die Brille auf den Nasenrücken. Die Grenze, flüsterte Marie. Die Zäune sollen schadhaft sein, hört man. So viele, die es wieder versuchen, ehe der Winter kommt. Eine ganze Weile, dass die drei schwiegen und die Gasse entlangsahen, die sich bald hinter einer Kuppe verlor. Wisst ihr noch, fragte Hertha, wie das war, damals: als die Grenze fiel? So jung waren wir. So gehofft hatten wir, dass die Welt wachsen würde, wir hineinrückten in ihre Mitte. Gerda lachte. Was hatte sie uns denn gebracht, die weite Welt? fragte sie. Doch bloß Menschen, die unsere Sprache nicht sprechen. Niemand gab Antwort. Der Kater querte den Platz, eilte sich nicht, verschwand in einem Vorgarten. Irgendwo, in der Nähe, eine Tür, die ins Schloss fiel, ein Mensch, der haltlos fluchte.

Es braucht die Grenze, die hohen Zäune, sagte Gerda. Sie sprach mit fester Stimme. Es war gut, sie wieder zu bauen, sagte sie. Es war notwendig.
Wem nützen all die Zäune? fragte Hertha, flüsterte es. Dachte: kann die Freiheit gedeihen, wenn man sie mit Stacheldraht einhegt?
So mach doch die Augen auf, rief Gerda, zornig, empört. Es gibt keinen anderen Weg. Mehr sagte sie nicht, schlug ein Bein übers andere, verschränkte die Arme unter der Brust.
Hertha mied ihren Blick. Ich weiß nicht, sagte sie, ob es einen richtigen gibt, einen einzigen bloß. Aber ich sehe so viele falsche.

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