Schande
- Juli 17, 2020
- by
- Manfred Lipp
Die späte Kindheit, die frühe Jugend. Im Nachhinein waren diese Jahre die besten gewesen. Die sorglosesten. Der Vater trank zwar und im ärgsten Suff teilte er auch Schläge aus. Aber tranken und schlugen nicht alle Väter? Machte sie das nicht aus, die Männer? Die harte Arbeit, das Trinken. Die gelegentlichen Prügel, die das bisschen Macht festhielten, die sie über die Welt hatten.
Manchmal waren sie schneller gewesen, die Mutter, die Schwester und sie. Hatten sich in der kleinen Kammer einschließen können, wo sie sich aneinanderklammerten und warteten, dass das Toben im Nebenraum verebbte. Rasselndem, trunkenem...
Die Brücke
- Juli 10, 2020
- by
- Manfred Lipp
Den Radweg verlassen, die Landesstraße queren. Einem Weißstorch dabei zusehen, wie er in einem Acker spaziert und sich nicht stören lässt bei seiner Futtersuche. Einen Gang höher schalten, den Gewerbebetrieb links liegen lassen, vor dem zwei Lastwägen stehen und ein alter Volvo. Auf einen Feldweg einbiegen und hören, wie die Kieselsteine wegspritzen unter den Reifen.
Zur...
Unbehagen
- Juli 03, 2020
- by
- Manfred Lipp
Ich weiß nicht, wann ich zu zweifeln begann. Ich kann die Unruhe nicht benennen, die in mich gekrochen ist wie eine Spinne in eine Mauerritze. Die Welt trägt kein anderes Gewand als gestern, sie folgt denselben Regeln wie zuvor. Was uns zu braven Bürgern macht, hat seinen Wert nicht eingebüßt.
Und dennoch schmeckt der Alltag so...
Bist du glücklich?
- Juni 26, 2020
- by
- Manfred Lipp
‚Kind, bist du glücklich?‘, fragte sie. Es brachte ihn aus der Fassung. Er hatte mit Banalerem gerechnet, ob es ihm ‚gut gehe‘ etwa oder ‚alles in Ordnung‘ sei im Beruf. Auf diese Fragen wäre er vorbereitet gewesen. Er schaute auf den Suppenlöffel, nach dem er gerade gegriffen hatte. Legte ihn zurück auf die Serviette, die...
Die Masken vergessen
- Juni 19, 2020
- by
- Manfred Lipp
Den Wolfersberg hinuntergehen. Zum Bus, der uns zur U-Bahn bringt. Zur U-Bahn, die uns am Karlsplatz entlädt, wo der Resselpark vom Regen frisch gewaschen ist und der Musikverein sich in seinem eigenen Glanz sonnt. Wo das Künstlerhaus steht, frisch renoviert, alte Pracht in neuem Gewand. Wo die Albertina Modern wartet.
Auf uns wartet mit ihren sechzigtausend...





