Fertigsuppe

Aus dem Alltag

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Großvater ist krank. Sein Husten wird mit jedem Tag schlimmer und seit gestern hat er hohes Fieber. Zum Arzt will er nicht, ich weiß nicht, warum. Da gehen nur kranke Leute hin, sagt er. Er habe schon Schlimmeres überstanden, ich solle mir keine Sorgen machen, sagt er. Ich nicke stumm.
Mache mir Sorgen.

Ich gehe in die Küche, öffne die Lade, in der die Suppenpackungen liegen. Entscheide mich für die Gemüsesuppe. Halte die Packung in der Hand und wundere mich, wie leicht sie ist. Schäme mich plötzlich, dass ich nicht kochen kann, kein bisschen. Bloß Sachen aufwärmen. Ich muss frisches Gemüse kaufen, denke ich mir. Wenigstens frisches Gemüse.

Ich lese, was auf der Suppenpackung steht. Fülle Wasser in einen Topf, stelle ihn auf den Gasherd. Warte, bis es kocht. Durch das Küchenfenster kann ich sehen, wie ein Grünspecht über die Wiese läuft und im Boden stochert. Ob er wohl Futter findet?, frage ich mich und höre, wie das Wasser zu brodeln beginnt. Schütte den Inhalt der Suppenpackung in den Topf, verrühre ihn, drehe die Flamme zurück, lege den Kochlöffel beiseite. Als ich wieder aus dem Fenster schaue, ist der Specht verschwunden.

‚Du musst essen, Großvater‘, sage ich und stelle den Suppenteller auf das Nachtkästchen. ‚Danke, Manuel‘, flüstert er und mir fällt auf, dass ich den Löffel vergessen habe. Als ich zurückkomme, hat Opa die Augen geschlossen. Ich setze mich ans Bett, nehme seine Hand. Drücke sie. Sage nichts. Lasse ihn schlafen.

Ich lege mich neben ihn, schiebe meinen Kopf an seine Schulter. Höre seinen flachen Atem, spüre die Hitze, die von seinem Körper ausgeht. Habe Angst um ihn. Irgendwann schlafe ich ein.
Träume von Mama.

Sie steht vor mir, sieht so hübsch aus mit ihren halblangen Haaren und der kleinen Narbe auf der Stirn, die sie sich als Kind an der Tischkante geschlagen hat. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, weil ich sie so lange nicht gesehen habe. Schaue sie nur an und spüre, wie ich zu weinen beginne. Sie lächelt. Nimmt mich in die Arme, drückt mich ganz fest. Gibt mir einen Kuss auf die Wange.
Flüstert mir etwas ins Ohr.
‚Ja, Mama‘, sage ich.

Als ich munter werde, ist es dunkel im Zimmer, der Platz neben mir leer. ‚Ich dachte schon, du wachst nie auf‘, höre ich Großvater sagen. Weiß jetzt, dass er im Schaukelstuhl sitzt, in der Ecke, gleich neben dem Wäschekorb. ‚Die Suppe‘, sagt er, ‚ist kalt geworden‘.
Ich wische mir die Tränen aus den Augen, steige aus dem Bett, gehe zu ihm. Berühre ihn an der Schulter. ‚Wir werden sie wärmen‘, sage ich.

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