Futter. Reichlich unzugänglich.

Aus dem Alltag

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Der Buntspecht schaut auf das Vogelhaus wie ein engherziger Kleingeist auf die Wotruba-Kirche. Er wirkt erbost. Unentschlossen hockt er auf der Trompetenwinde, die nun kahl ist und ihre Äste ungestüm dem niedrigen Himmel entgegenstreckt, und krallt seine Zehen ins stumm duldende Holz. Eine winzige Schneeflocke segelt zu Boden, verfehlt den Specht um Haaresbreite und kauert nun träge auf der Terrasse. Der Vogel beachtet sie nicht weiter.
Er hat nur Augen für das Vogelhaus.

Klein. Furchtbar klein ist die Futterstelle, die da schamlos und verlockend vom Ast baumelt, drei Schnabellängen von ihm entfernt. Und keinen Platz bietet für einen seiner Größe. Es ist empörend. Die dämlichen Kohlmeisen stört es wie üblich nicht, aber wie soll ein ausgewachsener Buntspecht auf diesen mickrigen Simsen Halt finden? Wohin mit dem prächtigen Körper, während der Schnabel hungrig nach den gehackten Erdnüssen pickt? Was tun? Ein Rotkehlchen landet im nahen Efeu und blickt vorwurfsvoll auf den bunten Großcousin, der stumm vor dem Vogelhaus lauert und ungerührt den Durchzugsverkehr blockiert. Der Specht beachtet es nicht.
Er hat nur Augen für das Vogelhaus.

Dann wagt er den Sprung. Seine Flügel peitschen die eiskalte Luft, die Krallen versuchen wütend, am schmalen Vorsprung Halt zu finden und kratzen doch nur Farbe von den Wänden. Es klappt nicht. Mürrisch lässt der Specht ab vom Häuschen und flattert entnervt zurück auf seinen Platz, der ihm zwar guten Ausblick, doch kein Futter bietet. Das Vogelhaus schwingt fröhlich durch die Luft und tanzt zum Takt, den ihm der Buntspecht aufgezwungen hat. Ein Hohn, eine Provokation, eine nicht hinzunehmende Schmähung. Das Rotkehlchen ist es leid zu warten und verschwindet hinter den Eiben. Der Specht bemerkt es nicht.
Er hat nur Augen für das Vogelhaus.

Der Hunger ist groß, der Specht motiviert. Beherzt stürzt er sich erneut auf das schlingernde Häuschen. Und verfehlt es. Rudert zornig mit den Flügeln, greift ins Leere, schlägt ein buntes Loch in die Luft. Lässt die Schmach nicht auf sich sitzen, fliegt erneut an, bekommt den Sims zu fassen und krallt sich fest am harten Holz, das ihn wild schaukelnd durch die Luft schleudert. Er hat es geschafft, die Sache hat nur einen Haken.
Er hängt nun parallel zur Unterkante, der Kopf lugt bloß ein Stückchen vor, zwei Augen starren mürrisch in den Himmel.

Mit der Hartnäckigkeit eines Artisten, der ein neues Kunststück probt, schiebt der Buntspecht seinen Körper Stück für Stück unter dem Vogelhaus hervor. Verkeilt seinen Unterkörper, rammt die Krallen ins Häuschen, streckt den Leib und krümmt den Hals. Bis er den Kopf über die Kante schieben und triumphierend in den gehackten Erdnüssen versenken kann. Drei Kohlmeisen sitzen im Hartriegel und schauen gelangweilt auf das Vogelhaus. Den Specht kümmert es nicht.
Er hat nur Augen für die Erdnüsse.

Der Buntspecht schaut auf das Vogelhaus wie ein engherziger Kleingeist auf die Wotruba-Kirche. Erschöpft hockt er auf der Trompetenwinde und sieht den Meisen zu, die kunstvolle Manöver fliegen und wie elegante Projektile im Futtertrog einschlagen. Er wirkt genervt. Und während ein Rotkehlchen im nahen Efeu landet, leert er umstandslos seine Kloake auf den Terrassenboden und macht sich eilig davon.

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