Mittagstisch

Gastbeiträge

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Rosafarbene Wolkenfische schwimmen im Blaugrau. Sinken tiefer und tiefer. Das weiße Schaf kassiert Traumgeld. Sternschutt fällt. Träum Schwalben. Träum Möwen. Schlaf ich. Vögel mit Schnürsenkeln erdrosselt, Hühner und Krähen. Schwarze Schuhbänder. Und rote um die Hälse der Eichelhäher.
Ich war’s nicht. Ich schlendere umher. Ein freier Tag.

Mittagstisch bei der Landschlachterei. Tische drinnen vor den Theken und draußen an der Straße. Plastikstühle. Preiswert. Halbe Hähnchen, Currywurst. Ein Stammessen. Tageskarte auf vier Tafeln. Eintöpfe mit Bockwürsten. Kochwürste mit Senf aus der Tüte. Bratwürste mit Stampf. Stampf mit Sauerkraut und Eisbein. Stammessen. Leberkäse. Alles auch zum Mitnehmen. Ein Familienbetrieb. Jung und Alt. Sie kommen über die Runden. Sie haben Einfälle. Freundlich. Es soll weitergehen. Das kleine Geschehen im Kapitalismus.

Verzeihen Sie, Unbefugte haben hier keinen Eintritt. Bleiben Sie in Ihrem Leben. Genießen Sie den Horizont am wahren Ort. Schlendern Sie weiter. Oder lassen Sie uns auf neutralem Boden über die Eiswürfelherstellung sprechen. Lassen Sie den Gästen ihre Kochwurst und die gebogene Leberkässcheibe. Gehen Sie ein paar Türen weiter und essen Bauernpresswurst, Zander oder Aal.

Also: Zum Herstellen von Eiswürfeln die Eiswürfelform mit Wasser füllen und dann in das Gefrierfach stellen. Um die Eiswürfel zu entnehmen, beide Enden der Eiswürfelform fassen und die Form sanft verbiegen und verdrehen. Die Eiswürfel lassen sich leichter herausnehmen, wenn Sie vor dem Verdrehen der Form Wasser darüber laufen lassen.
Ich empfehle warmes Wasser.

Ist etwas passiert, nein, es war nichts passiert. Alle saßen an ihren Plätzen vor ihren Tellern. Plastikdecken, mit Haltern festgeklemmt. Besteck in eine bunte Serviette gewickelt. Weinglas. Wasserglas. Ohne Eiswürfel. Ein Kellner stand vorm Computer und errechnete die Menge der herzustellenden Eiswürfel für die Anzahl der Gäste und Gläser. Alle warteten auf die Ergebnisse und Zuteilungen. Der Wind wehte sanft über Büsche und Oleander, wirbelte ein paar Blätter über den Platz. Mittag. Im Zustand andauernder Gegenwart.

Die Gäste hatten keine Gedanken, in denen sie erinnerten und keine, in denen sie Zukunft planten. Sie wünschten ihr Essen. Sie spürten den Wind, sahen die Blätter und eine Katze, die in die spiegelnden Scheiben des Restaurants schaute. Die Katze sah die Tische, die Kellner und Gäste. Sich nicht. Die Katze war kein Ängstling, deshalb überquerte sie den Platz mit aufrechtem Schwanz. Die Gäste hatten das Tier längst vergessen, als der Kellner die Schalen mit den Eiswürfeln brachte. Er hatte sie nach den Anweisungen der Hersteller aus der Form gebrochen und aufgehäuft. Die Teller füllten sich mit dem Stammessen. Das Leben in der Landschlachterei ging weiter.
Ich schlenderte weiter und aß einen Fischsuppentopf.

J. Monika Walther stammt aus einer jüdisch-protestantischen Familie. Schlug an vielen Orten Wurzeln. Studierte, promovierte, zog los in die Welt. Kehrte zurück und wurde sesshaft im Münsterland und in den Niederlanden. Wurde 1976 Schriftstellerin, ist es bis heute. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt „Der Mann ohne Hände“ (zusammen mit Monika Detering, Geest-Verlag 2020), „Dorf – Milch und Honig sind fort“ (Geest-Verlag 2020) und „Als Queen Elizabeth II. Schnaps im Hafen von Marne trank“ (Geest-Verlag 2018).
J. Monika Walther
Geest-Verlag

Die Textrechte dieses Beitrags liegen bei J. Monika Walther, die Bildrechte bei Doris Lipp.

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