Zurück in die Zukunft

Aus dem Alltag

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Ein Freund wird fünfzig. Einer, der grad erst seinen Vater zu Grabe tragen musste, der Tod hat kein Gespür fürs Leben. Einer, der herzlich ist wie der Dalai Lama und anstrengend sein kann wie eine Wagner-Oper vom Stehplatz aus. Einer, der mutig ist und geistreich. Und einen ausgeprägten Sinn für Ordnung hat.
Einer, den wir viel zu selten sehen.

Auch eine Zeitreise beginnt mit dem ersten Schritt und sei’s nur jenem durch die Tür. Drinnen sind die Achtziger lebendig, man hat sie doch längst tot geglaubt. Rosa Legwarmers und neonfarbene Stirnbänder stechen schrill ins Auge und angstvoll blicke ich mich um und suche Modern Talking. Der Saal ist groß, die Wände dekoriert mit Filmplakaten, sie sind recht akkurat geordnet. Von einem Poster schaut Samantha Fox zu mir herüber und im ersten Moment halte ich sie für Pia Zadora. Ein Mann geht an mir vorbei. Auf seinem T-Shirt steht ‚Knight Industries‘.

Dirty Dancing. Full Metal Jacket. Der Himmel über Berlin. E. T.

Vor uns steht Limahl und zapft sich stumm ein kleines Bier. Wir plaudern einstweilen mit Falco. Neben uns stapelt sich kistenweise Schartner-Bombe, drei Doppler Weißwein warten auf tollkühne Trinker. Und spätestens als der Jubilar mit seiner schmalen Lederkrawatte vor uns steht und Annie Lennox ‚Missionary Man‘ anstimmt, haben sie mich wieder, die Achtziger.

Flash Dance. Das Boot. Good Morning, Vietnam. Top Gun.

Es ist ja nicht so, dass die Achtziger nicht auch entsetzliche Dinge hervorgebracht hätten. Tschernobyl etwa und den Weinskandal. Oder ‚Maria Magdalena‘ von Sandra. Und Ribiselwein natürlich. ‚Das Zeug kann Diabetiker töten‘, meint Klaus alias Falco und ich suche vergebens diesen Warnhinweis auf dem Etikett der Flasche. Vorsichtshalber wechsle ich auf Almdudler, ich fürchte das Glykol im Wein. Dann wird es dunkel.

9 ½ Wochen. Gib dem Affen Zucker. Platoon. La Boum.

Wir lachen Tränen. Buchstäblich. Der Film ist famos. Wie kreativ kann ein Freundeskreis sein? Mein Bauch schmerzt schon minutenlang, doch Pardon ward nicht gegeben. Ich habe ernsthaft Angst, mich einzunässen, was gar nicht statthaft wäre. Da wären die Achtzigerjahre, zumindest was unsere Altersgruppe betrifft, eindeutig das falsche Jahrzehnt.

Quatermain. Bodycheck. Tron. Der Name der Rose.

‚How will I know‘, singt die stimmgewaltige Dame im Ballkleid und ein paar Augenblicke lang trauere ich um Whitney. Dann raunt sie ‚You don’t have to be beautiful to turn me on‘ ins Mikrofon und ich werde schon wieder sentimental. Weil es das nächste Genie nicht über die Brücke der Zeit zu uns geschafft hat. ‚You don’t have to be rich to be my girl, you don’t have to be cool to rule my world‘, grölen wir mit.
Ja, sie waren gar nicht schlecht, die Achtziger.

Mad-Hefte und Rubik-Würfel. Pac-Man und Schwedenbomben.

Der Gemischte Satz vom Zahel tröstet schnell und gründlich. Dann lockt das Tanzparkett. ‚Some boys kiss me, some boys hug me, I think they’re ok‘, singt Madonna und immerhin, sie ist noch unter uns. Und während Doris wie ein Raubtier die Tanzfläche entert, halte ich mich dezent im Hintergrund und mache Stefan Petzner Konkurrenz. Nur werd‘ ich von keiner Jury zerrissen und schwadroniere nicht bierernst über Udo Jürgens.

‚Liebe wird aus Mut gemacht, denk nicht lange nach, wir fahr’n auf Feuerrädern Richtung Zukunft durch die Nacht.‘

Ein wenig peinlich ist es mir schon, als ich zur Musik von David Hasselhoff tanze, auch wenn er uns eindringlich versichert, dass er ganz ‚crazy‘ nach uns wäre. Aber es muss ja keiner wissen. Ein kleiner Bub quert furchtlos die Tanzfläche, die ein wogendes Meer voll hochgereckter Arme ist, während Joan Jett ‚I Love Rock ’n‘ Roll‘ singt.
Eine junge Frau fotografiert den Sixpack von Rob Lowe auf dem Plakat von ‚Bodycheck‘.

‘I’m a man without conviction. I’m a man who doesn’t know how to sell a contradiction. You come and go, you come and go.’

Pause. Wir brauchen eine Pause. Vor dem Damen-WC formiert sich eine Warteschlange, die zwanglos und mit unverschämter Eleganz zu ‚Walk Like an Egyptian‘ swingt. Ein Mann quert meinen Weg. Er trägt einen Anzug im Testbild-Look.

‚Hast du etwas Zeit für mich, dann singe ich ein Lied für dich von neunundneunzig Luftballons auf ihrem Weg zum Horizont.‘ Nena hetzt uns über das Parkett, lässt mich die Jahre spüren, die viel zu schnell vergangen sind. Ja, es wird Zeit zu gehen. Doch zuvor gilt es noch, die vielleicht bekannteste Telefonnummer der Achtziger lautstark zu deklamieren.
‚Unter 32-16-8 herrscht Konjunktur die ganze Nacht.‘

Und während wir zum Ausgang streben, sinkt ein himmelblauer Luftballon direkt vor uns zu Boden und seine Schnur verfängt sich kunstvoll in Doris‘ rechtem Arm.

Wer einen ganzen Ballsaal mit Freunden füllen kann, hat im Leben nicht viel falsch gemacht.
Happy birthday, Dietmar!

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