Verloren

Aus dem Alltag

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Ratlos stand ich an der Wegkreuzung, hörte den Raben zu, die mich mürrisch verhöhnten. Ich blickte zum Himmel, sah die ersten Schneeflocken sich lösen aus dem Grau, schob die Hände in die Manteltaschen, den Kopf in den Nacken, den Mut in die Kniekehlen. Ich begriff, dass ich mich verlaufen hatte. Wohin? dachte ich also, sah nach rechts, wo sich der Pfad bald hinter einer Kuppe verlor. Sah nach links, wo der Wald lag, abweisend, schattenlos. Sah rundum, bemerkte, wie die Dämmerung das Licht aus dem Tag stieß, allmählich. Links, schoss es mir durch den Kopf. Links musste das Dorf liegen. Ich zuckte mit den Schultern, spitzte die Lippen, wollte pfeifen, es gelang mir nicht recht. Fasste einen Entschluss, ging los.

Es dauerte nicht lange, bis ich ins Unterholz geriet. Immer tiefer, schien mir, dass ich in den Wald drang, der dichter wurde, unwegsamer, bis ich über einen Ast stolperte, fiel. Als ich am Boden lag, auf meine blutigen Hände starrte, die klumpige Erde an den Hosenbeinen und das gefrorene Laub, schrie ein Rabe, nahe, ich sah ihn nicht. Weiter! sagte ich mir, stand auf, spürte den Schmerz im Knie, fluchte. Blut tropfte von meinem rechten Handgelenk. Ich schritt aus, eilte in die Richtung, von der ich dachte, es sei Osten. Ob ich irrte, wie lange ich ging, ich weiß es nicht. Blieb erst stehen, als die Nacht das letzte Licht aus dem Tag gesogen hatte.

Die Dunkelheit gebar Geräusche. Den Ruf einer Eule. Das Knacken trockener Zweige. Ein Scharren, das nicht zu verorten war. Mich fror. Die Kälte, allgegenwärtig, drang mir in Körper und Seele. Und wieder: der Ruf der Eule. Ich rang mir einen Schritt ab. Dann noch einen. Stolperte durch die Nacht, ziellos.

Auf einer Kuppe die Hütte, das Licht. Ich zögerte, horchte auf meinen Atem, der, hastig, laut, gegen die Dunkelheit drosch. Geh! sagte ich mir, kam näher, klopfte, hörte den Schrei einer Eule, ganz nah. Hinter der Tür schwere Schritte, die sich über den Boden schoben. Wie wenig überrascht ich war, als ich die Alte sah, die sagte: Komm! Ich habe lange auf dich gewartet.
Ich nickte, trat ein.

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